Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

fehlen, wenigstens eine vorübergehende Rolle zu spie-
len, und er besitzt jedenfalls in vollem Maße alle
Ingredienzien für einen Richelieu unserer Zeit. Daß
seine Konversation nur in trivialen Lokalspässen und
Medisance besteht, die er einer Frau in großer Ge-
sellschaft in's Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß
noch Jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer
ist, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport
sprechen kann, daß er außer der Routine einiger
Modephrasen, die der seichteste Kopf gewöhnlich am
beßten sich merkt, höchst unwissend ist, daß seine
linkische Tou nüre nur die nonchalance des Bauer-
burschen erreicht, der sich auf die Ofenbank hinstreckt,
und seine Grazie viel Aehnlichkeit mit der eines Bä-
ren hat, der im Auslande tanzen gelernt -- alles
das raubt ihm keinen Stein aus seiner Krone.

Schlimmer noch ist es, daß trotz der vornehmen
Rohheit seines äußern Betragens, der moralische Zu-
stand seines Innern, um modisch zu seyn auf einer
noch weit niedrigern Stufe stehen muß. Wie sehr
der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier
an der Tagesordnung sind, in der großen Welt vor-
herrscht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art
von Relief giebt, ist notorisch, aber auffallender ist
es noch, daß man den crassesten Egoismus, der doch
auch solchen Handlungen nur zum Grunde liegt,
gar nicht zu verbergen sucht, sondern ganz offen als
das einzige vernünftige Prinzip aufstellt, und "good
nature,"
oder Gemüth als comble der Gemeinheit

fehlen, wenigſtens eine vorübergehende Rolle zu ſpie-
len, und er beſitzt jedenfalls in vollem Maße alle
Ingredienzien für einen Richelieu unſerer Zeit. Daß
ſeine Konverſation nur in trivialen Lokalſpäſſen und
Mediſance beſteht, die er einer Frau in großer Ge-
ſellſchaft in’s Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß
noch Jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer
iſt, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport
ſprechen kann, daß er außer der Routine einiger
Modephraſen, die der ſeichteſte Kopf gewöhnlich am
beßten ſich merkt, höchſt unwiſſend iſt, daß ſeine
linkiſche Tou nüre nur die nonchalance des Bauer-
burſchen erreicht, der ſich auf die Ofenbank hinſtreckt,
und ſeine Grazie viel Aehnlichkeit mit der eines Bä-
ren hat, der im Auslande tanzen gelernt — alles
das raubt ihm keinen Stein aus ſeiner Krone.

Schlimmer noch iſt es, daß trotz der vornehmen
Rohheit ſeines äußern Betragens, der moraliſche Zu-
ſtand ſeines Innern, um modiſch zu ſeyn auf einer
noch weit niedrigern Stufe ſtehen muß. Wie ſehr
der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier
an der Tagesordnung ſind, in der großen Welt vor-
herrſcht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art
von Relief giebt, iſt notoriſch, aber auffallender iſt
es noch, daß man den craſſeſten Egoismus, der doch
auch ſolchen Handlungen nur zum Grunde liegt,
gar nicht zu verbergen ſucht, ſondern ganz offen als
das einzige vernünftige Prinzip aufſtellt, und „good
nature,“
oder Gemüth als comble der Gemeinheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0419" n="399"/>
fehlen, wenig&#x017F;tens eine vorübergehende Rolle zu &#x017F;pie-<lb/>
len, und er be&#x017F;itzt jedenfalls in vollem Maße alle<lb/>
Ingredienzien für einen Richelieu un&#x017F;erer Zeit. Daß<lb/>
&#x017F;eine Konver&#x017F;ation nur in trivialen Lokal&#x017F;&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Medi&#x017F;ance be&#x017F;teht, die er einer Frau in großer Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft in&#x2019;s Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß<lb/>
noch Jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer<lb/>
i&#x017F;t, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport<lb/>
&#x017F;prechen kann, daß er außer der Routine einiger<lb/>
Modephra&#x017F;en, die der &#x017F;eichte&#x017F;te Kopf gewöhnlich am<lb/>
beßten &#x017F;ich merkt, höch&#x017F;t unwi&#x017F;&#x017F;end i&#x017F;t, daß &#x017F;eine<lb/>
linki&#x017F;che Tou nüre nur die <hi rendition="#aq">nonchalance</hi> des Bauer-<lb/>
bur&#x017F;chen erreicht, der &#x017F;ich auf die Ofenbank hin&#x017F;treckt,<lb/>
und &#x017F;eine Grazie viel Aehnlichkeit mit der eines Bä-<lb/>
ren hat, der im Auslande tanzen gelernt &#x2014; alles<lb/>
das raubt ihm keinen Stein aus &#x017F;einer Krone.</p><lb/>
          <p>Schlimmer noch i&#x017F;t es, daß trotz der vornehmen<lb/>
Rohheit &#x017F;eines äußern Betragens, der morali&#x017F;che Zu-<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;eines Innern, um modi&#x017F;ch zu &#x017F;eyn auf einer<lb/>
noch weit niedrigern Stufe &#x017F;tehen muß. Wie &#x017F;ehr<lb/>
der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier<lb/>
an der Tagesordnung &#x017F;ind, in der großen Welt vor-<lb/>
herr&#x017F;cht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art<lb/>
von Relief giebt, i&#x017F;t notori&#x017F;ch, aber auffallender i&#x017F;t<lb/>
es noch, daß man den cra&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Egoismus, der doch<lb/>
auch <hi rendition="#g">&#x017F;olchen</hi> Handlungen nur zum Grunde liegt,<lb/>
gar nicht zu verbergen &#x017F;ucht, &#x017F;ondern ganz offen als<lb/>
das einzige vernünftige Prinzip auf&#x017F;tellt, und <hi rendition="#aq">&#x201E;good<lb/>
nature,&#x201C;</hi> oder Gemüth als <hi rendition="#aq">comble</hi> der Gemeinheit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0419] fehlen, wenigſtens eine vorübergehende Rolle zu ſpie- len, und er beſitzt jedenfalls in vollem Maße alle Ingredienzien für einen Richelieu unſerer Zeit. Daß ſeine Konverſation nur in trivialen Lokalſpäſſen und Mediſance beſteht, die er einer Frau in großer Ge- ſellſchaft in’s Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß noch Jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer iſt, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport ſprechen kann, daß er außer der Routine einiger Modephraſen, die der ſeichteſte Kopf gewöhnlich am beßten ſich merkt, höchſt unwiſſend iſt, daß ſeine linkiſche Tou nüre nur die nonchalance des Bauer- burſchen erreicht, der ſich auf die Ofenbank hinſtreckt, und ſeine Grazie viel Aehnlichkeit mit der eines Bä- ren hat, der im Auslande tanzen gelernt — alles das raubt ihm keinen Stein aus ſeiner Krone. Schlimmer noch iſt es, daß trotz der vornehmen Rohheit ſeines äußern Betragens, der moraliſche Zu- ſtand ſeines Innern, um modiſch zu ſeyn auf einer noch weit niedrigern Stufe ſtehen muß. Wie ſehr der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier an der Tagesordnung ſind, in der großen Welt vor- herrſcht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art von Relief giebt, iſt notoriſch, aber auffallender iſt es noch, daß man den craſſeſten Egoismus, der doch auch ſolchen Handlungen nur zum Grunde liegt, gar nicht zu verbergen ſucht, ſondern ganz offen als das einzige vernünftige Prinzip aufſtellt, und „good nature,“ oder Gemüth als comble der Gemeinheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/419
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/419>, abgerufen am 24.11.2024.