Im Ganzen aber zeigen allerdings die modischen Engländer, ohne deßhalb ihre angeborne Schwerfäl- ligkeit und Pedanterie sehr ablegen zu können, als den Hauptzug ihres Strebens, das lebhafte Verlan- gen: die ehemalige französische sittenlose Frivolität und Jactance in ihrem vollen Umfang zu erreichen, während gerade im umgekehrten Verhältniß die Fran- zosen jetzt diese Disposition mit altenglischem Ernste vertauscht haben, und täglich mehr einem würdige- ren Lebenszweck entgegen gehen.
Ein heutiger Londner Exclusiv ist daher in Wahr- heit nichts anders, als ein schlechter Nachdruck, so- wohl der ehemaligen Roues der Regentschaft, als der Höflinge Ludwig XV. Beide haben miteinander gemein: Selbstsucht, Leichtsinn, unbegränzte Eitel- keit und einen gänzlichen Mangel an Herz -- beide glauben sich mit Hohn und Uebermuth über Alles hinwegsetzen zu können, und kriechen nur vor einem Idol im Staube, jene Franzosen ehemals vor ihrem König, diese Engländer vor dem von ihnen eben an- erkannten Herrscher im Reiche der Fashion. Aber welch ein Contrast in dem ferneren Resultat! In Frankreich wurde die Abwesenheit der Moralität und Ehrlichkeit wenigstens durch ausgesuchte Höflichkeit ersetzt, für den Mangel an Gemüth durch Geist und Amabilität entschädigt, die Impertinenz, sich für etwas Besseres als Andere zu halten, durch hohe Eleganz und Gefälligkeit der Formen erträglich gemacht, und die selbstsüchtige Eitelkeit wenigstens durch den Glanz eines imponirenden Hofes, ein vornehm repräsenti-
Im Ganzen aber zeigen allerdings die modiſchen Engländer, ohne deßhalb ihre angeborne Schwerfäl- ligkeit und Pedanterie ſehr ablegen zu können, als den Hauptzug ihres Strebens, das lebhafte Verlan- gen: die ehemalige franzöſiſche ſittenloſe Frivolität und Jactance in ihrem vollen Umfang zu erreichen, während gerade im umgekehrten Verhältniß die Fran- zoſen jetzt dieſe Diſpoſition mit altengliſchem Ernſte vertauſcht haben, und täglich mehr einem würdige- ren Lebenszweck entgegen gehen.
Ein heutiger Londner Excluſiv iſt daher in Wahr- heit nichts anders, als ein ſchlechter Nachdruck, ſo- wohl der ehemaligen Roués der Regentſchaft, als der Höflinge Ludwig XV. Beide haben miteinander gemein: Selbſtſucht, Leichtſinn, unbegränzte Eitel- keit und einen gänzlichen Mangel an Herz — beide glauben ſich mit Hohn und Uebermuth über Alles hinwegſetzen zu können, und kriechen nur vor einem Idol im Staube, jene Franzoſen ehemals vor ihrem König, dieſe Engländer vor dem von ihnen eben an- erkannten Herrſcher im Reiche der Faſhion. Aber welch ein Contraſt in dem ferneren Reſultat! In Frankreich wurde die Abweſenheit der Moralität und Ehrlichkeit wenigſtens durch ausgeſuchte Höflichkeit erſetzt, für den Mangel an Gemüth durch Geiſt und Amabilität entſchädigt, die Impertinenz, ſich für etwas Beſſeres als Andere zu halten, durch hohe Eleganz und Gefälligkeit der Formen erträglich gemacht, und die ſelbſtſüchtige Eitelkeit wenigſtens durch den Glanz eines imponirenden Hofes, ein vornehm repräſenti-
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Im Ganzen aber zeigen allerdings die modiſchen
Engländer, ohne deßhalb ihre angeborne Schwerfäl-
ligkeit und Pedanterie ſehr ablegen zu können, als
den Hauptzug ihres Strebens, das lebhafte Verlan-
gen: die ehemalige franzöſiſche ſittenloſe Frivolität
und Jactance in ihrem vollen Umfang zu erreichen,
während gerade im umgekehrten Verhältniß die Fran-
zoſen jetzt dieſe Diſpoſition mit altengliſchem Ernſte
vertauſcht haben, und täglich mehr einem würdige-
ren Lebenszweck entgegen gehen.
Ein heutiger Londner Excluſiv iſt daher in Wahr-
heit nichts anders, als ein ſchlechter Nachdruck, ſo-
wohl der ehemaligen Roués der Regentſchaft, als
der Höflinge Ludwig XV. Beide haben miteinander
gemein: Selbſtſucht, Leichtſinn, unbegränzte Eitel-
keit und einen gänzlichen Mangel an Herz — beide
glauben ſich mit Hohn und Uebermuth über Alles
hinwegſetzen zu können, und kriechen nur vor einem
Idol im Staube, jene Franzoſen ehemals vor ihrem
König, dieſe Engländer vor dem von ihnen eben an-
erkannten Herrſcher im Reiche der Faſhion. Aber
welch ein Contraſt in dem ferneren Reſultat! In
Frankreich wurde die Abweſenheit der Moralität und
Ehrlichkeit wenigſtens durch ausgeſuchte Höflichkeit
erſetzt, für den Mangel an Gemüth durch Geiſt und
Amabilität entſchädigt, die Impertinenz, ſich für etwas
Beſſeres als Andere zu halten, durch hohe Eleganz
und Gefälligkeit der Formen erträglich gemacht, und
die ſelbſtſüchtige Eitelkeit wenigſtens durch den Glanz
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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