tisch, es ist castenartig indisch. Eine andere Ausbil- dung der heutigen sogenannten großen Welt würde vielleicht noch statt gefunden haben, wenn in Eng- land ein Hof, im Continentalsinne, Ton und Rich- tung in höchster Instanz angegeben hätte.
Ein solcher ist aber hier nicht vorhanden. Die eng- lischen Könige leben als Privatleute, die meisten Hof- chargen sind fast nur nominell, vereinigen sich höchst selten, nur zu großen Gelegenheiten, und da sich doch irgendwo in der Gesellschaft ein Focus organisiren muß, von dem das höchste Licht und die höchste Au- torität fortwährend ausstrahlt, so schien die reiche Aristokratie berufen, diese Stelle einzunehmen. Sie war aber, bei aller ihrer Macht und Reichthum, den- noch nicht allein im Stande, diesen Platz vollständig zu behaupten. Der englische Adel, so stolz er ist, kann sich doch an Alter und Reinheit, wenn solchen Dingen einmal Werth beigelegt werden soll, nicht exclusiv nennen, kaum mit dem französischen, durch- aus aber nicht mit dem höheren, großentheils in Takt gebliebenen Deutschen messen. Er blendet nur durch die weislich immer beibehaltenen alten histori- schen Namen, die wie stehende Masken durch die ganze Geschichte Englands durchgehen, obgleich im- mer neue Familien und oft solche, die von ganz ge- ringen Leuten, oder Maitressen etc. abstammen, da- hinter stecken. Englands Adel hat freilich die soli- desten Vorzüge vor dem anderer Länder, durch seinen reellen Reichthum, und noch mehr durch den Antheil an der Gesetzgebung, den ihm die Verfassung ein-
tiſch, es iſt caſtenartig indiſch. Eine andere Ausbil- dung der heutigen ſogenannten großen Welt würde vielleicht noch ſtatt gefunden haben, wenn in Eng- land ein Hof, im Continentalſinne, Ton und Rich- tung in höchſter Inſtanz angegeben hätte.
Ein ſolcher iſt aber hier nicht vorhanden. Die eng- liſchen Könige leben als Privatleute, die meiſten Hof- chargen ſind faſt nur nominell, vereinigen ſich höchſt ſelten, nur zu großen Gelegenheiten, und da ſich doch irgendwo in der Geſellſchaft ein Focus organiſiren muß, von dem das höchſte Licht und die höchſte Au- torität fortwährend ausſtrahlt, ſo ſchien die reiche Ariſtokratie berufen, dieſe Stelle einzunehmen. Sie war aber, bei aller ihrer Macht und Reichthum, den- noch nicht allein im Stande, dieſen Platz vollſtändig zu behaupten. Der engliſche Adel, ſo ſtolz er iſt, kann ſich doch an Alter und Reinheit, wenn ſolchen Dingen einmal Werth beigelegt werden ſoll, nicht excluſiv nennen, kaum mit dem franzöſiſchen, durch- aus aber nicht mit dem höheren, großentheils in Takt gebliebenen Deutſchen meſſen. Er blendet nur durch die weislich immer beibehaltenen alten hiſtori- ſchen Namen, die wie ſtehende Masken durch die ganze Geſchichte Englands durchgehen, obgleich im- mer neue Familien und oft ſolche, die von ganz ge- ringen Leuten, oder Maitreſſen ꝛc. abſtammen, da- hinter ſtecken. Englands Adel hat freilich die ſoli- deſten Vorzüge vor dem anderer Länder, durch ſeinen reellen Reichthum, und noch mehr durch den Antheil an der Geſetzgebung, den ihm die Verfaſſung ein-
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tiſch, es iſt caſtenartig indiſch. Eine andere Ausbil-
dung der heutigen ſogenannten großen Welt würde
vielleicht noch ſtatt gefunden haben, wenn in Eng-
land ein Hof, im Continentalſinne, Ton und Rich-
tung in höchſter Inſtanz angegeben hätte.
Ein ſolcher iſt aber hier nicht vorhanden. Die eng-
liſchen Könige leben als Privatleute, die meiſten Hof-
chargen ſind faſt nur nominell, vereinigen ſich höchſt
ſelten, nur zu großen Gelegenheiten, und da ſich doch
irgendwo in der Geſellſchaft ein Focus organiſiren
muß, von dem das höchſte Licht und die höchſte Au-
torität fortwährend ausſtrahlt, ſo ſchien die reiche
Ariſtokratie berufen, dieſe Stelle einzunehmen. Sie
war aber, bei aller ihrer Macht und Reichthum, den-
noch nicht allein im Stande, dieſen Platz vollſtändig
zu behaupten. Der engliſche Adel, ſo ſtolz er iſt,
kann ſich doch an Alter und Reinheit, wenn ſolchen
Dingen einmal Werth beigelegt werden ſoll, nicht
excluſiv nennen, kaum mit dem franzöſiſchen, durch-
aus aber nicht mit dem höheren, großentheils in
Takt gebliebenen Deutſchen meſſen. Er blendet nur
durch die weislich immer beibehaltenen alten hiſtori-
ſchen Namen, die wie ſtehende Masken durch die
ganze Geſchichte Englands durchgehen, obgleich im-
mer neue Familien und oft ſolche, die von ganz ge-
ringen Leuten, oder Maitreſſen ꝛc. abſtammen, da-
hinter ſtecken. Englands Adel hat freilich die ſoli-
deſten Vorzüge vor dem anderer Länder, durch ſeinen
reellen Reichthum, und noch mehr durch den Antheil
an der Geſetzgebung, den ihm die Verfaſſung ein-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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