noch nicht gesehen, und der Groß und Klein hier zu Füßen liegt.
Sie ist in der That allerliebst, ein reizendes Ge- schöpf, und sehr verführerisch für Alle, die entweder noch neu der Welt sind, oder an nichts als ihr Ver- gnügen zu denken haben. Es ist nicht möglich, eine harmlosere, und doch ihr Ziel besser treffende, so zu sagen angebornere Coquetterie zu sehen, so kindlich, so lieblich -- et cependant le diable n'y perd rien.
Auch mir schien sie bald die schwachen Seiten ab- zumerken, und unterhielt mich ohne die mindeste scheinbare Absichtlichkeit, doch nur von dem, was passend und angenehm zu hören für mich seyn konnte. Die vaterländischen Töne fielen dazu aus so hübschem Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der Rede hinein, und die allerschönsten blauen Augen beschienen sie, wie eine Frühlingssonne hinter leichten Wolkenschleiern.
Morgen spielt Kean Richard III., sagte sie endlich flüchtig, der Herzog v. D. hat mir seine Loge abge- treten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?
Daß eine solche Einladung jeder andern vorging, versteht sich von selbst.
Den 28sten.
Nie habe ich noch weniger von einer Vor- stellung gesehen und gehört, als von der heutigen, und doch muß ich gestehen, hat mir keine kürzer ge-
23*
noch nicht geſehen, und der Groß und Klein hier zu Füßen liegt.
Sie iſt in der That allerliebſt, ein reizendes Ge- ſchöpf, und ſehr verführeriſch für Alle, die entweder noch neu der Welt ſind, oder an nichts als ihr Ver- gnügen zu denken haben. Es iſt nicht möglich, eine harmloſere, und doch ihr Ziel beſſer treffende, ſo zu ſagen angebornere Coquetterie zu ſehen, ſo kindlich, ſo lieblich — et cependant le diable n’y perd rien.
Auch mir ſchien ſie bald die ſchwachen Seiten ab- zumerken, und unterhielt mich ohne die mindeſte ſcheinbare Abſichtlichkeit, doch nur von dem, was paſſend und angenehm zu hören für mich ſeyn konnte. Die vaterländiſchen Töne fielen dazu aus ſo hübſchem Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der Rede hinein, und die allerſchönſten blauen Augen beſchienen ſie, wie eine Frühlingsſonne hinter leichten Wolkenſchleiern.
Morgen ſpielt Kean Richard III., ſagte ſie endlich flüchtig, der Herzog v. D. hat mir ſeine Loge abge- treten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?
Daß eine ſolche Einladung jeder andern vorging, verſteht ſich von ſelbſt.
Den 28ſten.
Nie habe ich noch weniger von einer Vor- ſtellung geſehen und gehört, als von der heutigen, und doch muß ich geſtehen, hat mir keine kürzer ge-
23*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0375"n="355"/>
noch nicht geſehen, und der Groß und Klein hier zu<lb/>
Füßen liegt.</p><lb/><p>Sie iſt in der That allerliebſt, ein reizendes Ge-<lb/>ſchöpf, und ſehr verführeriſch für Alle, die entweder<lb/>
noch neu der Welt ſind, oder an nichts als ihr Ver-<lb/>
gnügen zu denken haben. Es iſt nicht möglich, eine<lb/>
harmloſere, und doch ihr Ziel beſſer treffende, ſo zu<lb/>ſagen angebornere Coquetterie zu ſehen, ſo kindlich,<lb/>ſo lieblich —<hirendition="#aq">et cependant le diable n’y perd rien</hi>.</p><lb/><p>Auch mir ſchien ſie bald die ſchwachen Seiten ab-<lb/>
zumerken, und unterhielt mich ohne die mindeſte<lb/>ſcheinbare Abſichtlichkeit, doch nur von dem, was<lb/>
paſſend und angenehm zu hören für mich ſeyn konnte.<lb/>
Die vaterländiſchen Töne fielen dazu aus ſo hübſchem<lb/>
Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der<lb/>
Rede hinein, und die allerſchönſten blauen Augen<lb/>
beſchienen ſie, wie eine Frühlingsſonne hinter leichten<lb/>
Wolkenſchleiern.</p><lb/><p>Morgen ſpielt Kean Richard <hirendition="#aq">III.,</hi>ſagte ſie endlich<lb/>
flüchtig, der Herzog v. D. hat mir ſeine Loge abge-<lb/>
treten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?</p><lb/><p>Daß eine ſolche Einladung jeder andern vorging,<lb/>
verſteht ſich von ſelbſt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 28ſten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Nie habe ich noch weniger von einer Vor-<lb/>ſtellung geſehen und gehört, als von der heutigen,<lb/>
und doch muß ich geſtehen, hat mir keine kürzer ge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">23*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[355/0375]
noch nicht geſehen, und der Groß und Klein hier zu
Füßen liegt.
Sie iſt in der That allerliebſt, ein reizendes Ge-
ſchöpf, und ſehr verführeriſch für Alle, die entweder
noch neu der Welt ſind, oder an nichts als ihr Ver-
gnügen zu denken haben. Es iſt nicht möglich, eine
harmloſere, und doch ihr Ziel beſſer treffende, ſo zu
ſagen angebornere Coquetterie zu ſehen, ſo kindlich,
ſo lieblich — et cependant le diable n’y perd rien.
Auch mir ſchien ſie bald die ſchwachen Seiten ab-
zumerken, und unterhielt mich ohne die mindeſte
ſcheinbare Abſichtlichkeit, doch nur von dem, was
paſſend und angenehm zu hören für mich ſeyn konnte.
Die vaterländiſchen Töne fielen dazu aus ſo hübſchem
Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der
Rede hinein, und die allerſchönſten blauen Augen
beſchienen ſie, wie eine Frühlingsſonne hinter leichten
Wolkenſchleiern.
Morgen ſpielt Kean Richard III., ſagte ſie endlich
flüchtig, der Herzog v. D. hat mir ſeine Loge abge-
treten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?
Daß eine ſolche Einladung jeder andern vorging,
verſteht ſich von ſelbſt.
Den 28ſten.
Nie habe ich noch weniger von einer Vor-
ſtellung geſehen und gehört, als von der heutigen,
und doch muß ich geſtehen, hat mir keine kürzer ge-
23*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/375>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.