Kean, Young und Kemble, sagte ich, bilden das herrschende Triumviat der englischen Bühne. Der Erste ist ohne Zweifel der Genialste, der Zweite glanzvoll und consequent in seinem Spiel, der Dritte, obgleich weniger ausgezeichnet im höchsten Tragischen, dennoch stets würdig und verständig. Nur in dieser Darstel- lung des Othello spielten zum erstenmale alle drei zusammen in derselben Tragödie. Dies war aber auch ein seltner Genuß! Othello ist, nebst Shylock, Keans Hauptrolle. Es ist bewunderungswürdig, mit wel- cher tiefen Menschenkenntniß er nicht nur die erst schlum- mernde, allmählig erwachende und endlich in Raserei übergehende Eifersucht malt, sondern wie er da- bei auch stets die südliche Natur des Mohren, die so eigenthümliche Individualität dieser Menschenklasse, auf das täuschendste nachahmt. Es blickt bei allem edlen Wesen des Mohren etwas Thierisches zuweilen daraus hervor, das schaudern macht, und auf der andern Seite auch seinen ungeheuren Schmerz noch gewaltsamer uns vor Augen stellt. Die Einfachheit seines Spiels im Anfang, die Abwesenheit aller Prahlerei nach den vergangnen großen Thaten, und die innige Liebe für das gewählte Weib gewinnen die Herzen der Zuschauer, wie sie das Desdemona's gewonnen haben -- der häßliche Mohr ist über dem vollendeten, heldenmäßigen Mann vergessen -- bis nun unter den Qualen zerfleischender Eifersucht langsam vor unsern Augen jene versteckte grause Na- tur auftaucht, und wir zuletzt kaum einen Menschen mehr, sondern einen reißenden Tiger vor uns zu
Kean, Young und Kemble, ſagte ich, bilden das herrſchende Triumviat der engliſchen Bühne. Der Erſte iſt ohne Zweifel der Genialſte, der Zweite glanzvoll und conſequent in ſeinem Spiel, der Dritte, obgleich weniger ausgezeichnet im höchſten Tragiſchen, dennoch ſtets würdig und verſtändig. Nur in dieſer Darſtel- lung des Othello ſpielten zum erſtenmale alle drei zuſammen in derſelben Tragödie. Dies war aber auch ein ſeltner Genuß! Othello iſt, nebſt Shylock, Keans Hauptrolle. Es iſt bewunderungswürdig, mit wel- cher tiefen Menſchenkenntniß er nicht nur die erſt ſchlum- mernde, allmählig erwachende und endlich in Raſerei übergehende Eiferſucht malt, ſondern wie er da- bei auch ſtets die ſüdliche Natur des Mohren, die ſo eigenthümliche Individualität dieſer Menſchenklaſſe, auf das täuſchendſte nachahmt. Es blickt bei allem edlen Weſen des Mohren etwas Thieriſches zuweilen daraus hervor, das ſchaudern macht, und auf der andern Seite auch ſeinen ungeheuren Schmerz noch gewaltſamer uns vor Augen ſtellt. Die Einfachheit ſeines Spiels im Anfang, die Abweſenheit aller Prahlerei nach den vergangnen großen Thaten, und die innige Liebe für das gewählte Weib gewinnen die Herzen der Zuſchauer, wie ſie das Desdemona’s gewonnen haben — der häßliche Mohr iſt über dem vollendeten, heldenmäßigen Mann vergeſſen — bis nun unter den Qualen zerfleiſchender Eiferſucht langſam vor unſern Augen jene verſteckte grauſe Na- tur auftaucht, und wir zuletzt kaum einen Menſchen mehr, ſondern einen reißenden Tiger vor uns zu
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Kean, Young und Kemble, ſagte ich, bilden das
herrſchende Triumviat der engliſchen Bühne. Der Erſte
iſt ohne Zweifel der Genialſte, der Zweite glanzvoll
und conſequent in ſeinem Spiel, der Dritte, obgleich
weniger ausgezeichnet im höchſten Tragiſchen, dennoch
ſtets würdig und verſtändig. Nur in dieſer Darſtel-
lung des Othello ſpielten zum erſtenmale alle drei
zuſammen in derſelben Tragödie. Dies war aber auch
ein ſeltner Genuß! Othello iſt, nebſt Shylock, Keans
Hauptrolle. Es iſt bewunderungswürdig, mit wel-
cher tiefen Menſchenkenntniß er nicht nur die erſt ſchlum-
mernde, allmählig erwachende und endlich in Raſerei
übergehende Eiferſucht malt, ſondern wie er da-
bei auch ſtets die ſüdliche Natur des Mohren, die ſo
eigenthümliche Individualität dieſer Menſchenklaſſe,
auf das täuſchendſte nachahmt. Es blickt bei allem
edlen Weſen des Mohren etwas Thieriſches zuweilen
daraus hervor, das ſchaudern macht, und auf der
andern Seite auch ſeinen ungeheuren Schmerz noch
gewaltſamer uns vor Augen ſtellt. Die Einfachheit
ſeines Spiels im Anfang, die Abweſenheit aller
Prahlerei nach den vergangnen großen Thaten, und
die innige Liebe für das gewählte Weib gewinnen
die Herzen der Zuſchauer, wie ſie das Desdemona’s
gewonnen haben — der häßliche Mohr iſt über dem
vollendeten, heldenmäßigen Mann vergeſſen — bis
nun unter den Qualen zerfleiſchender Eiferſucht
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/358>, abgerufen am 28.11.2024.
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