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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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lerie zum Unterricht, sondern nur zum Genuß be-
zweckt.

Man findet hier einen Garoffolo von so überirdi-
scher Verklärung, von so heilig tiefer Poesie, daß
man ein Bild aus Eden, nicht von dieser Welt zu
erblicken glaubt, daneben einen großen, fast die halbe
Wand einnehmenden Claude, ebenfalls von der höch-
sten Schönheit, bei dem die geringen Mittel, die der
Maler verwandte, eben so bewunderungswürdig
sind, als der außerordentliche Effekt, den er damit zu
erreichen wußte. Im Nebenzimmer befanden sich noch
einige andere ausgezeichnete Landschaften von Dome-
niquino und Annibal Carrache. Der Reichthum der
Composition, die Innigkeit und Naivität der Empfin-
dung waren hier mit einem so phantastischen Reiz
und so viel Mannigfaltigkeit der Details geschmückt,
daß ich Tage lang mich hätte in diesen seltsamen
Gegenden ihren weiten Wasserspiegeln, ihren Inseln,
Hainen und wohnlichen Hütten, ihren tief blauen
Gebirgen und gespenstischem Waldesdunkel verlieren
mögen. Im dritten Zimmer jedoch gelangt man erst
zu der Krone der ganzen Sammlung, einem Bilde
Leonardo da Vinci's, auf welchem der Maler in den
drei Personen: des Erlösers, Petrus und Johannes,
die Ideale des Jünglings, Mannes und Greises
dargestellt hat, alle von einer Anmuth, Wahrheit
und Vollendung, die nichts zu wünschen übrig läßt.
Es ist der einzige Christuskopf von allen, die ich ge-
sehen, der mir völlig genügt, und eben so überzeu-
gend Größe und Kraft, als Heiligkeit und Milde

lerie zum Unterricht, ſondern nur zum Genuß be-
zweckt.

Man findet hier einen Garoffolo von ſo überirdi-
ſcher Verklärung, von ſo heilig tiefer Poeſie, daß
man ein Bild aus Eden, nicht von dieſer Welt zu
erblicken glaubt, daneben einen großen, faſt die halbe
Wand einnehmenden Claude, ebenfalls von der höch-
ſten Schönheit, bei dem die geringen Mittel, die der
Maler verwandte, eben ſo bewunderungswürdig
ſind, als der außerordentliche Effekt, den er damit zu
erreichen wußte. Im Nebenzimmer befanden ſich noch
einige andere ausgezeichnete Landſchaften von Dome-
niquino und Annibal Carrache. Der Reichthum der
Compoſition, die Innigkeit und Naivität der Empfin-
dung waren hier mit einem ſo phantaſtiſchen Reiz
und ſo viel Mannigfaltigkeit der Details geſchmückt,
daß ich Tage lang mich hätte in dieſen ſeltſamen
Gegenden ihren weiten Waſſerſpiegeln, ihren Inſeln,
Hainen und wohnlichen Hütten, ihren tief blauen
Gebirgen und geſpenſtiſchem Waldesdunkel verlieren
mögen. Im dritten Zimmer jedoch gelangt man erſt
zu der Krone der ganzen Sammlung, einem Bilde
Leonardo da Vinci’s, auf welchem der Maler in den
drei Perſonen: des Erlöſers, Petrus und Johannes,
die Ideale des Jünglings, Mannes und Greiſes
dargeſtellt hat, alle von einer Anmuth, Wahrheit
und Vollendung, die nichts zu wünſchen übrig läßt.
Es iſt der einzige Chriſtuskopf von allen, die ich ge-
ſehen, der mir völlig genügt, und eben ſo überzeu-
gend Größe und Kraft, als Heiligkeit und Milde

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[328/0346] lerie zum Unterricht, ſondern nur zum Genuß be- zweckt. Man findet hier einen Garoffolo von ſo überirdi- ſcher Verklärung, von ſo heilig tiefer Poeſie, daß man ein Bild aus Eden, nicht von dieſer Welt zu erblicken glaubt, daneben einen großen, faſt die halbe Wand einnehmenden Claude, ebenfalls von der höch- ſten Schönheit, bei dem die geringen Mittel, die der Maler verwandte, eben ſo bewunderungswürdig ſind, als der außerordentliche Effekt, den er damit zu erreichen wußte. Im Nebenzimmer befanden ſich noch einige andere ausgezeichnete Landſchaften von Dome- niquino und Annibal Carrache. Der Reichthum der Compoſition, die Innigkeit und Naivität der Empfin- dung waren hier mit einem ſo phantaſtiſchen Reiz und ſo viel Mannigfaltigkeit der Details geſchmückt, daß ich Tage lang mich hätte in dieſen ſeltſamen Gegenden ihren weiten Waſſerſpiegeln, ihren Inſeln, Hainen und wohnlichen Hütten, ihren tief blauen Gebirgen und geſpenſtiſchem Waldesdunkel verlieren mögen. Im dritten Zimmer jedoch gelangt man erſt zu der Krone der ganzen Sammlung, einem Bilde Leonardo da Vinci’s, auf welchem der Maler in den drei Perſonen: des Erlöſers, Petrus und Johannes, die Ideale des Jünglings, Mannes und Greiſes dargeſtellt hat, alle von einer Anmuth, Wahrheit und Vollendung, die nichts zu wünſchen übrig läßt. Es iſt der einzige Chriſtuskopf von allen, die ich ge- ſehen, der mir völlig genügt, und eben ſo überzeu- gend Größe und Kraft, als Heiligkeit und Milde

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/346>, abgerufen am 24.11.2024.