Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

englischen Justiz handelte. Am colossalsten erschien
darin der Umstand, daß in dem court of Chancery
jetzt die ungeheure Summe von 50 Millionen L. St.
liegt, die noch keinen Herrn hat. Ein Prozeß in
diesem Gerichtshof ist sprüchwörtlich geworden, um
etwas Unendliches zu bezeichnen, und es existirt eine
Carrikatur darüber mit der Unterschrift: a Chancery
suit
, die sehr ergötzlich ist. Ein von Gesundheit
strotzender reich gekleideter Jüngling füllt am Anfang
des Bildes den hingehaltenen Hut eines zum Ske-
lett verhungerten Advokaten mit Goldstücken, um für
ihn einen Prozeß zu führen. Eine lange, lange Pro-
cession verschiedener Dinge und Menschen folgt, und
am Ende sehen wir den jungen Mann als zerlump-
ten hinfälligen Bettler wieder, wie er demüthig den,
nun wie eine Tonne dick gewordenen Advokaten,
um ein kleines Allmosen anfleht, welches dieser je-
doch, sich stolz abwendend, verweigert. Helas, c'est
encore tout comme chez nous!
nur hier allerdings
in corpulenteren Verhältnissen.

In manchen Dingen, die dem Fremden empörend
scheinen, muß man sich indeß vor einem vorschnellen
Urtheile hüten, da oft Mißbräuche, oder selbst offen-
bare Mängel an sich, doch nur der nothwendige
Schatten eines weit größeren Lichtes sind. Z. B. die
Bestechungen bei den Parlamentswahlen, selbst viel-
leicht die rotten boroughs und die anerkannte Ab-
hängigkeit eines Theils des Parlaments vom Gou-
vernement durch Patronage u. s. w. Es ist sehr die
Frage, ob ohne diese scheinbar so verwerflichen Hülfs-

engliſchen Juſtiz handelte. Am coloſſalſten erſchien
darin der Umſtand, daß in dem court of Chancery
jetzt die ungeheure Summe von 50 Millionen L. St.
liegt, die noch keinen Herrn hat. Ein Prozeß in
dieſem Gerichtshof iſt ſprüchwörtlich geworden, um
etwas Unendliches zu bezeichnen, und es exiſtirt eine
Carrikatur darüber mit der Unterſchrift: a Chancery
suit
, die ſehr ergötzlich iſt. Ein von Geſundheit
ſtrotzender reich gekleideter Jüngling füllt am Anfang
des Bildes den hingehaltenen Hut eines zum Ske-
lett verhungerten Advokaten mit Goldſtücken, um für
ihn einen Prozeß zu führen. Eine lange, lange Pro-
ceſſion verſchiedener Dinge und Menſchen folgt, und
am Ende ſehen wir den jungen Mann als zerlump-
ten hinfälligen Bettler wieder, wie er demüthig den,
nun wie eine Tonne dick gewordenen Advokaten,
um ein kleines Allmoſen anfleht, welches dieſer je-
doch, ſich ſtolz abwendend, verweigert. Helas, c’est
encore tout comme chez nous!
nur hier allerdings
in corpulenteren Verhältniſſen.

In manchen Dingen, die dem Fremden empörend
ſcheinen, muß man ſich indeß vor einem vorſchnellen
Urtheile hüten, da oft Mißbräuche, oder ſelbſt offen-
bare Mängel an ſich, doch nur der nothwendige
Schatten eines weit größeren Lichtes ſind. Z. B. die
Beſtechungen bei den Parlamentswahlen, ſelbſt viel-
leicht die rotten boroughs und die anerkannte Ab-
hängigkeit eines Theils des Parlaments vom Gou-
vernement durch Patronage u. ſ. w. Es iſt ſehr die
Frage, ob ohne dieſe ſcheinbar ſo verwerflichen Hülfs-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="325"/>
engli&#x017F;chen Ju&#x017F;tiz handelte. Am colo&#x017F;&#x017F;al&#x017F;ten er&#x017F;chien<lb/>
darin der Um&#x017F;tand, daß in dem <hi rendition="#aq">court of Chancery</hi><lb/>
jetzt die ungeheure Summe von 50 Millionen L. St.<lb/>
liegt, die noch keinen Herrn hat. Ein Prozeß in<lb/>
die&#x017F;em Gerichtshof i&#x017F;t &#x017F;prüchwörtlich geworden, um<lb/>
etwas Unendliches zu bezeichnen, und es exi&#x017F;tirt eine<lb/>
Carrikatur darüber mit der Unter&#x017F;chrift: <hi rendition="#aq">a Chancery<lb/>
suit</hi>, die &#x017F;ehr ergötzlich i&#x017F;t. Ein von Ge&#x017F;undheit<lb/>
&#x017F;trotzender reich gekleideter Jüngling füllt am Anfang<lb/>
des Bildes den hingehaltenen Hut eines zum Ske-<lb/>
lett verhungerten Advokaten mit Gold&#x017F;tücken, um für<lb/>
ihn einen Prozeß zu führen. Eine lange, lange Pro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;ion ver&#x017F;chiedener Dinge und Men&#x017F;chen folgt, und<lb/>
am Ende &#x017F;ehen wir den jungen Mann als zerlump-<lb/>
ten hinfälligen Bettler wieder, wie er demüthig den,<lb/>
nun wie eine Tonne dick gewordenen Advokaten,<lb/>
um ein kleines Allmo&#x017F;en anfleht, welches die&#x017F;er je-<lb/>
doch, &#x017F;ich &#x017F;tolz abwendend, verweigert. <hi rendition="#aq">Helas, c&#x2019;est<lb/>
encore tout comme chez nous!</hi> nur hier allerdings<lb/>
in corpulenteren Verhältni&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>In manchen Dingen, die dem Fremden empörend<lb/>
&#x017F;cheinen, muß man &#x017F;ich indeß vor einem vor&#x017F;chnellen<lb/>
Urtheile hüten, da oft Mißbräuche, oder &#x017F;elb&#x017F;t offen-<lb/>
bare Mängel an &#x017F;ich, doch nur der nothwendige<lb/>
Schatten eines weit größeren Lichtes &#x017F;ind. Z. B. die<lb/>
Be&#x017F;techungen bei den Parlamentswahlen, &#x017F;elb&#x017F;t viel-<lb/>
leicht die <hi rendition="#aq">rotten boroughs</hi> und die anerkannte Ab-<lb/>
hängigkeit eines Theils des Parlaments vom Gou-<lb/>
vernement durch Patronage u. &#x017F;. w. Es i&#x017F;t &#x017F;ehr die<lb/>
Frage, ob ohne die&#x017F;e &#x017F;cheinbar &#x017F;o verwerflichen Hülfs-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0343] engliſchen Juſtiz handelte. Am coloſſalſten erſchien darin der Umſtand, daß in dem court of Chancery jetzt die ungeheure Summe von 50 Millionen L. St. liegt, die noch keinen Herrn hat. Ein Prozeß in dieſem Gerichtshof iſt ſprüchwörtlich geworden, um etwas Unendliches zu bezeichnen, und es exiſtirt eine Carrikatur darüber mit der Unterſchrift: a Chancery suit, die ſehr ergötzlich iſt. Ein von Geſundheit ſtrotzender reich gekleideter Jüngling füllt am Anfang des Bildes den hingehaltenen Hut eines zum Ske- lett verhungerten Advokaten mit Goldſtücken, um für ihn einen Prozeß zu führen. Eine lange, lange Pro- ceſſion verſchiedener Dinge und Menſchen folgt, und am Ende ſehen wir den jungen Mann als zerlump- ten hinfälligen Bettler wieder, wie er demüthig den, nun wie eine Tonne dick gewordenen Advokaten, um ein kleines Allmoſen anfleht, welches dieſer je- doch, ſich ſtolz abwendend, verweigert. Helas, c’est encore tout comme chez nous! nur hier allerdings in corpulenteren Verhältniſſen. In manchen Dingen, die dem Fremden empörend ſcheinen, muß man ſich indeß vor einem vorſchnellen Urtheile hüten, da oft Mißbräuche, oder ſelbſt offen- bare Mängel an ſich, doch nur der nothwendige Schatten eines weit größeren Lichtes ſind. Z. B. die Beſtechungen bei den Parlamentswahlen, ſelbſt viel- leicht die rotten boroughs und die anerkannte Ab- hängigkeit eines Theils des Parlaments vom Gou- vernement durch Patronage u. ſ. w. Es iſt ſehr die Frage, ob ohne dieſe ſcheinbar ſo verwerflichen Hülfs-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/343
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/343>, abgerufen am 24.11.2024.