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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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scheulich, ein alter Engländer aber vertheidigte sie
beharrlich. "Ich glaube," fiel er eifrig ein, "daß die
eben erzählte Anekdote gerade dazu dient, die Weis-
heit unserer Gesetze recht auffallend zu illustriren.
Die Gesetze überhaupt, wie die richterlichen Behör-
den sind doch in ihrem ersten Grunde nur dazu da,
Verbrechen zu verhindern. Nur deßwegen auch be-
straft man sie. Der Verhehler ist daher in den Au-
gen des Gesetzgebers fast eben so strafbar als der
Stehler, und derjenige, welcher einen Verbrecher, der
bereits dem Gesetz verfallen, wissentlich von seiner
Strafe zu befreien sucht, wirkt für die Kommunität
nicht weniger nachtheilig als der Verbrecher selbst.
Jener Mann, welcher mit dem Schnupftuchstehlen
vielleicht seine Laufbahn nur erst anfing, und hier-
nach der Gesellschaft zu Buße und Besserung entzo-
gen werden sollte, begeht jetzt, immer kühner ge-
macht, wahrscheinlich bald darauf einen weit größe-
ren Diebstahl, vielleicht einen Mord. Wer hat
sich dann die Schuld davon beizumessen? Es ist da-
her der von Ihnen angeführte Gentleman mit Recht
für sein gesetzwidriges Mitleid bestraft worden.
Wer in die Räder einer wohlthätigen Maschine unbe-
sonnen und unberufen eingreift, darf sich nicht wun-
dern, wenn sie ihm die Finger zerbricht." --

Die Engländer sind, man muß es gestehen, sehr
gewandte Sophisten, wenn es darauf ankömmt, ihre
Gebräuche herauszustreichen. Der größte von ihnen,
Brougham hielt demohngeachtet neulich eine Rede von
6 Stunden, die blos von den Mißbräuchen der

ſcheulich, ein alter Engländer aber vertheidigte ſie
beharrlich. „Ich glaube,“ fiel er eifrig ein, „daß die
eben erzählte Anekdote gerade dazu dient, die Weis-
heit unſerer Geſetze recht auffallend zu illuſtriren.
Die Geſetze überhaupt, wie die richterlichen Behör-
den ſind doch in ihrem erſten Grunde nur dazu da,
Verbrechen zu verhindern. Nur deßwegen auch be-
ſtraft man ſie. Der Verhehler iſt daher in den Au-
gen des Geſetzgebers faſt eben ſo ſtrafbar als der
Stehler, und derjenige, welcher einen Verbrecher, der
bereits dem Geſetz verfallen, wiſſentlich von ſeiner
Strafe zu befreien ſucht, wirkt für die Kommunität
nicht weniger nachtheilig als der Verbrecher ſelbſt.
Jener Mann, welcher mit dem Schnupftuchſtehlen
vielleicht ſeine Laufbahn nur erſt anfing, und hier-
nach der Geſellſchaft zu Buße und Beſſerung entzo-
gen werden ſollte, begeht jetzt, immer kühner ge-
macht, wahrſcheinlich bald darauf einen weit größe-
ren Diebſtahl, vielleicht einen Mord. Wer hat
ſich dann die Schuld davon beizumeſſen? Es iſt da-
her der von Ihnen angeführte Gentleman mit Recht
für ſein geſetzwidriges Mitleid beſtraft worden.
Wer in die Räder einer wohlthätigen Maſchine unbe-
ſonnen und unberufen eingreift, darf ſich nicht wun-
dern, wenn ſie ihm die Finger zerbricht.“ —

Die Engländer ſind, man muß es geſtehen, ſehr
gewandte Sophiſten, wenn es darauf ankömmt, ihre
Gebräuche herauszuſtreichen. Der größte von ihnen,
Brougham hielt demohngeachtet neulich eine Rede von
6 Stunden, die blos von den Mißbräuchen der

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[324/0342] ſcheulich, ein alter Engländer aber vertheidigte ſie beharrlich. „Ich glaube,“ fiel er eifrig ein, „daß die eben erzählte Anekdote gerade dazu dient, die Weis- heit unſerer Geſetze recht auffallend zu illuſtriren. Die Geſetze überhaupt, wie die richterlichen Behör- den ſind doch in ihrem erſten Grunde nur dazu da, Verbrechen zu verhindern. Nur deßwegen auch be- ſtraft man ſie. Der Verhehler iſt daher in den Au- gen des Geſetzgebers faſt eben ſo ſtrafbar als der Stehler, und derjenige, welcher einen Verbrecher, der bereits dem Geſetz verfallen, wiſſentlich von ſeiner Strafe zu befreien ſucht, wirkt für die Kommunität nicht weniger nachtheilig als der Verbrecher ſelbſt. Jener Mann, welcher mit dem Schnupftuchſtehlen vielleicht ſeine Laufbahn nur erſt anfing, und hier- nach der Geſellſchaft zu Buße und Beſſerung entzo- gen werden ſollte, begeht jetzt, immer kühner ge- macht, wahrſcheinlich bald darauf einen weit größe- ren Diebſtahl, vielleicht einen Mord. Wer hat ſich dann die Schuld davon beizumeſſen? Es iſt da- her der von Ihnen angeführte Gentleman mit Recht für ſein geſetzwidriges Mitleid beſtraft worden. Wer in die Räder einer wohlthätigen Maſchine unbe- ſonnen und unberufen eingreift, darf ſich nicht wun- dern, wenn ſie ihm die Finger zerbricht.“ — Die Engländer ſind, man muß es geſtehen, ſehr gewandte Sophiſten, wenn es darauf ankömmt, ihre Gebräuche herauszuſtreichen. Der größte von ihnen, Brougham hielt demohngeachtet neulich eine Rede von 6 Stunden, die blos von den Mißbräuchen der

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/342>, abgerufen am 24.11.2024.