Ich bin auferstanden -- und siehe da, Alles war fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten wa- ren fast. Alle fort, und auf den Promenaden wie in den Häusern schauten mir überall neue Gesichter ent- gegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich aus- ritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unter- schiede, daß die grünen Wiesen sämmtlich gedüngt wa- ren mit -- Austerschaalen.
Eine Miß G ...., ein nicht mehr ganz junges, aber artiges und reiches Mädchen, die schon längst Frau wäre, wenn der Freier nicht mit ihr auch ein paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte, erzählte mir, daß man mich in der hiesigen Zeitung als auf dem Tode liegend annoncirt hatte, während die Londner morning post mich auf jedem Almacks- ball als tanzend aufgeführt habe, was in der That etwas gespenstig erscheint. Diese gute Miß G .... ist noch immer höchst erkenntlich für ein ihr einst ver- schafftes Billet zu besagten Almacks, und spielte und sang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor, als ich bei meinen noch schwachen Nerven vertragen kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei an- dern Philomelen in die Hände, die sich ebenfalls noch hier verspätet haben.
Unter solchen Umständen werde ich, sobald meine Kräfte ganz zurückgekehrt sind, mich nach London
Den 20ſten.
Ich bin auferſtanden — und ſiehe da, Alles war fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten wa- ren faſt. Alle fort, und auf den Promenaden wie in den Häuſern ſchauten mir überall neue Geſichter ent- gegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich aus- ritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unter- ſchiede, daß die grünen Wieſen ſämmtlich gedüngt wa- ren mit — Auſterſchaalen.
Eine Miß G ...., ein nicht mehr ganz junges, aber artiges und reiches Mädchen, die ſchon längſt Frau wäre, wenn der Freier nicht mit ihr auch ein paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte, erzählte mir, daß man mich in der hieſigen Zeitung als auf dem Tode liegend annoncirt hatte, während die Londner morning post mich auf jedem Almacks- ball als tanzend aufgeführt habe, was in der That etwas geſpenſtig erſcheint. Dieſe gute Miß G .... iſt noch immer höchſt erkenntlich für ein ihr einſt ver- ſchafftes Billet zu beſagten Almacks, und ſpielte und ſang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor, als ich bei meinen noch ſchwachen Nerven vertragen kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei an- dern Philomelen in die Hände, die ſich ebenfalls noch hier verſpätet haben.
Unter ſolchen Umſtänden werde ich, ſobald meine Kräfte ganz zurückgekehrt ſind, mich nach London
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0336"n="318"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 20ſten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Ich bin auferſtanden — und ſiehe da, Alles war<lb/>
fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten wa-<lb/>
ren faſt. Alle fort, und auf den Promenaden wie in<lb/>
den Häuſern ſchauten mir überall neue Geſichter ent-<lb/>
gegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich aus-<lb/>
ritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unter-<lb/>ſchiede, daß die grünen Wieſen ſämmtlich gedüngt wa-<lb/>
ren mit — Auſterſchaalen.</p><lb/><p>Eine Miß G ...., ein nicht mehr ganz junges,<lb/>
aber artiges und reiches Mädchen, die ſchon längſt<lb/>
Frau wäre, wenn der Freier nicht mit ihr auch ein<lb/>
paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte,<lb/>
erzählte mir, daß man mich in der hieſigen Zeitung<lb/>
als auf dem Tode liegend annoncirt hatte, während<lb/>
die Londner <hirendition="#aq">morning post</hi> mich auf jedem Almacks-<lb/>
ball als tanzend aufgeführt habe, was in der That<lb/>
etwas geſpenſtig erſcheint. Dieſe gute Miß G ....<lb/>
iſt noch immer höchſt erkenntlich für ein ihr einſt ver-<lb/>ſchafftes Billet zu beſagten Almacks, und ſpielte und<lb/>ſang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor,<lb/>
als ich bei meinen noch ſchwachen Nerven vertragen<lb/>
kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl<lb/>
ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei an-<lb/>
dern Philomelen in die Hände, die ſich ebenfalls<lb/>
noch hier verſpätet haben.</p><lb/><p>Unter ſolchen Umſtänden werde ich, ſobald meine<lb/>
Kräfte ganz zurückgekehrt ſind, mich nach London<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[318/0336]
Den 20ſten.
Ich bin auferſtanden — und ſiehe da, Alles war
fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten wa-
ren faſt. Alle fort, und auf den Promenaden wie in
den Häuſern ſchauten mir überall neue Geſichter ent-
gegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich aus-
ritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unter-
ſchiede, daß die grünen Wieſen ſämmtlich gedüngt wa-
ren mit — Auſterſchaalen.
Eine Miß G ...., ein nicht mehr ganz junges,
aber artiges und reiches Mädchen, die ſchon längſt
Frau wäre, wenn der Freier nicht mit ihr auch ein
paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte,
erzählte mir, daß man mich in der hieſigen Zeitung
als auf dem Tode liegend annoncirt hatte, während
die Londner morning post mich auf jedem Almacks-
ball als tanzend aufgeführt habe, was in der That
etwas geſpenſtig erſcheint. Dieſe gute Miß G ....
iſt noch immer höchſt erkenntlich für ein ihr einſt ver-
ſchafftes Billet zu beſagten Almacks, und ſpielte und
ſang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor,
als ich bei meinen noch ſchwachen Nerven vertragen
kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl
ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei an-
dern Philomelen in die Hände, die ſich ebenfalls
noch hier verſpätet haben.
Unter ſolchen Umſtänden werde ich, ſobald meine
Kräfte ganz zurückgekehrt ſind, mich nach London
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/336>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.