Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf diese Art,
so lange Jenes Augen sich dem Lichte öffnen, noch
gleichsam fortzuleben in und mit ihm. Ist das nun
auch Egoismus?

Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir
noch etwas erzählen. Erinnerst Du Dich, von mei-
nem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines schot-
tischen Chieftains, eines etwas phantastischen, aber
kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in
der Blüthe dieser männlichen Kraft zu leben aufge-
hört. Mit seinen beiden Töchtern auf einem Dampf-
boot eingeschifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren
von einer Segelstange einen so heftigen Schlag an
den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen An-
fall von Raserei versetzt wurde, in Folge dessen ins
Meer sprang und ans Land schwamm, wo er nach
wenigen Stunden verschied. Dies Ende hat einige
tragische Verwandtschaft mit der Geschichte seines
Vorfahren, die er mir mit so viel Stolz mittheilte,
dessen nämlich, welcher, seine Hand abhauend, sie
aus Ufer warf und ihr nachschwamm.



Der Doctor findet mich sehr geduldig -- du lieber
Gott, ich habe wohl Geduld gelernt -- und um ge-
recht zu seyn, Widerwärtigkeit ist für den Geist eine
kostbare Schule. Widerwärtigkeit entsteht aber im
tiefsten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die

Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf dieſe Art,
ſo lange Jenes Augen ſich dem Lichte öffnen, noch
gleichſam fortzuleben in und mit ihm. Iſt das nun
auch Egoismus?

Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir
noch etwas erzählen. Erinnerſt Du Dich, von mei-
nem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines ſchot-
tiſchen Chieftains, eines etwas phantaſtiſchen, aber
kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in
der Blüthe dieſer männlichen Kraft zu leben aufge-
hört. Mit ſeinen beiden Töchtern auf einem Dampf-
boot eingeſchifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren
von einer Segelſtange einen ſo heftigen Schlag an
den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen An-
fall von Raſerei verſetzt wurde, in Folge deſſen ins
Meer ſprang und ans Land ſchwamm, wo er nach
wenigen Stunden verſchied. Dies Ende hat einige
tragiſche Verwandtſchaft mit der Geſchichte ſeines
Vorfahren, die er mir mit ſo viel Stolz mittheilte,
deſſen nämlich, welcher, ſeine Hand abhauend, ſie
aus Ufer warf und ihr nachſchwamm.



Der Doctor findet mich ſehr geduldig — du lieber
Gott, ich habe wohl Geduld gelernt — und um ge-
recht zu ſeyn, Widerwärtigkeit iſt für den Geiſt eine
koſtbare Schule. Widerwärtigkeit entſteht aber im
tiefſten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0326" n="308"/>
Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf die&#x017F;e Art,<lb/>
&#x017F;o lange Jenes Augen &#x017F;ich dem Lichte öffnen, noch<lb/>
gleich&#x017F;am fortzuleben in und mit ihm. I&#x017F;t das nun<lb/>
auch Egoismus?</p><lb/>
          <p>Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir<lb/>
noch etwas erzählen. Erinner&#x017F;t Du Dich, von mei-<lb/>
nem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines &#x017F;chot-<lb/>
ti&#x017F;chen Chieftains, eines etwas phanta&#x017F;ti&#x017F;chen, aber<lb/>
kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in<lb/>
der Blüthe die&#x017F;er männlichen Kraft zu leben aufge-<lb/>
hört. Mit &#x017F;einen beiden Töchtern auf einem Dampf-<lb/>
boot einge&#x017F;chifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren<lb/>
von einer Segel&#x017F;tange einen &#x017F;o heftigen Schlag an<lb/>
den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen An-<lb/>
fall von Ra&#x017F;erei ver&#x017F;etzt wurde, in Folge de&#x017F;&#x017F;en ins<lb/>
Meer &#x017F;prang und ans Land &#x017F;chwamm, wo er nach<lb/>
wenigen Stunden ver&#x017F;chied. Dies Ende hat einige<lb/>
tragi&#x017F;che Verwandt&#x017F;chaft mit der Ge&#x017F;chichte &#x017F;eines<lb/>
Vorfahren, die er mir mit &#x017F;o viel Stolz mittheilte,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en nämlich, welcher, &#x017F;eine Hand abhauend, &#x017F;ie<lb/>
aus Ufer warf und ihr nach&#x017F;chwamm.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 8ten.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Der Doctor findet mich &#x017F;ehr geduldig &#x2014; du lieber<lb/>
Gott, ich habe wohl Geduld gelernt &#x2014; und um ge-<lb/>
recht zu &#x017F;eyn, Widerwärtigkeit i&#x017F;t für den Gei&#x017F;t eine<lb/>
ko&#x017F;tbare Schule. Widerwärtigkeit ent&#x017F;teht aber im<lb/>
tief&#x017F;ten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0326] Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf dieſe Art, ſo lange Jenes Augen ſich dem Lichte öffnen, noch gleichſam fortzuleben in und mit ihm. Iſt das nun auch Egoismus? Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir noch etwas erzählen. Erinnerſt Du Dich, von mei- nem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines ſchot- tiſchen Chieftains, eines etwas phantaſtiſchen, aber kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in der Blüthe dieſer männlichen Kraft zu leben aufge- hört. Mit ſeinen beiden Töchtern auf einem Dampf- boot eingeſchifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren von einer Segelſtange einen ſo heftigen Schlag an den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen An- fall von Raſerei verſetzt wurde, in Folge deſſen ins Meer ſprang und ans Land ſchwamm, wo er nach wenigen Stunden verſchied. Dies Ende hat einige tragiſche Verwandtſchaft mit der Geſchichte ſeines Vorfahren, die er mir mit ſo viel Stolz mittheilte, deſſen nämlich, welcher, ſeine Hand abhauend, ſie aus Ufer warf und ihr nachſchwamm. Den 8ten. Der Doctor findet mich ſehr geduldig — du lieber Gott, ich habe wohl Geduld gelernt — und um ge- recht zu ſeyn, Widerwärtigkeit iſt für den Geiſt eine koſtbare Schule. Widerwärtigkeit entſteht aber im tiefſten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/326
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/326>, abgerufen am 27.11.2024.