nen. Aechte Mystik ist nun freilich selten, aber man muß es doch auch eine sehr vortheilhafte Erfindung der Weltklugen nennen, daß diese der Absurdität selbst ebenfalls einen Mantel von Titularmystik um- zuhängen verstanden haben. Hinter diesen Vorhang gehört leider das Meiste, z. B. eben auch diese Erb- sünde, wie sie unsre modernen Mystiker zu nennen belieben.
Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in ei- ner geistreichen Gesellschaft, die jedoch an Zahl ge- ring, nur aus einer Dame und zwei Herren bestand. Man stritt auch über die Erbsünde. Die Dame und ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür, wiewohl mehr vielleicht um eines geistigen Feuer- werks ihrer Gedanken willen, als aus Ueberzeugung. "Ja," sagten die Gegner endlich, "die Erbsünde ist ge- wiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charte der Franzosen, es war der Drang des Wissens, der sich Bahn machte. Mit seiner Befriedigung kam das Un- heil in die Welt, das aber freilich auch nöthig war zu unserer Läuterung, zum eignen Verdienste, dem einzig verdienstlichen." Auf diese Weise, erwie- derte ich, mich zu meiner Mitstreiterin wendend, können wir es uns gefallen lassen, denn es ist mit andern Worten unsre Meinung, ein Lernen, der nöthige Uebergang aus Schlimmem zu Besserem durch eigne Erfahrung und Erkenntniß. Allerdings, fiel die Dame ein, nur sollen Sie es dann nicht Erbsünde nennen. "Gnädige Frau," erwiederte einer der Antagonisten, "über den Namen wollen
nen. Aechte Myſtik iſt nun freilich ſelten, aber man muß es doch auch eine ſehr vortheilhafte Erfindung der Weltklugen nennen, daß dieſe der Abſurdität ſelbſt ebenfalls einen Mantel von Titularmyſtik um- zuhängen verſtanden haben. Hinter dieſen Vorhang gehört leider das Meiſte, z. B. eben auch dieſe Erb- ſünde, wie ſie unſre modernen Myſtiker zu nennen belieben.
Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in ei- ner geiſtreichen Geſellſchaft, die jedoch an Zahl ge- ring, nur aus einer Dame und zwei Herren beſtand. Man ſtritt auch über die Erbſünde. Die Dame und ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür, wiewohl mehr vielleicht um eines geiſtigen Feuer- werks ihrer Gedanken willen, als aus Ueberzeugung. „Ja,“ ſagten die Gegner endlich, „die Erbſünde iſt ge- wiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charte der Franzoſen, es war der Drang des Wiſſens, der ſich Bahn machte. Mit ſeiner Befriedigung kam das Un- heil in die Welt, das aber freilich auch nöthig war zu unſerer Läuterung, zum eignen Verdienſte, dem einzig verdienſtlichen.“ Auf dieſe Weiſe, erwie- derte ich, mich zu meiner Mitſtreiterin wendend, können wir es uns gefallen laſſen, denn es iſt mit andern Worten unſre Meinung, ein Lernen, der nöthige Uebergang aus Schlimmem zu Beſſerem durch eigne Erfahrung und Erkenntniß. Allerdings, fiel die Dame ein, nur ſollen Sie es dann nicht Erbſünde nennen. „Gnädige Frau,“ erwiederte einer der Antagoniſten, „über den Namen wollen
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nen. Aechte Myſtik iſt nun freilich ſelten, aber man
muß es doch auch eine ſehr vortheilhafte Erfindung
der Weltklugen nennen, daß dieſe der Abſurdität
ſelbſt ebenfalls einen Mantel von Titularmyſtik um-
zuhängen verſtanden haben. Hinter dieſen Vorhang
gehört leider das Meiſte, z. B. eben auch dieſe Erb-
ſünde, wie ſie unſre modernen Myſtiker zu nennen
belieben.
Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in ei-
ner geiſtreichen Geſellſchaft, die jedoch an Zahl ge-
ring, nur aus einer Dame und zwei Herren beſtand.
Man ſtritt auch über die Erbſünde. Die Dame und
ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür,
wiewohl mehr vielleicht um eines geiſtigen Feuer-
werks ihrer Gedanken willen, als aus Ueberzeugung.
„Ja,“ ſagten die Gegner endlich, „die Erbſünde iſt ge-
wiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charte der
Franzoſen, es war der Drang des Wiſſens, der ſich
Bahn machte. Mit ſeiner Befriedigung kam das Un-
heil in die Welt, das aber freilich auch nöthig war
zu unſerer Läuterung, zum eignen Verdienſte,
dem einzig verdienſtlichen.“ Auf dieſe Weiſe, erwie-
derte ich, mich zu meiner Mitſtreiterin wendend,
können wir es uns gefallen laſſen, denn es iſt mit
andern Worten unſre Meinung, ein Lernen,
der nöthige Uebergang aus Schlimmem zu Beſſerem
durch eigne Erfahrung und Erkenntniß. Allerdings,
fiel die Dame ein, nur ſollen Sie es dann nicht
Erbſünde nennen. „Gnädige Frau,“ erwiederte
einer der Antagoniſten, „über den Namen wollen
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/305>, abgerufen am 24.11.2024.
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