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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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sichtige Schleier über den Mond hin, und gewährten
lange ein eigenthümliches, wildes und reizendes Schau-
spiel! Unten war die Luft ganz still und warm, denn
nach der letzten Kälte haben wir wahres Frühlings-
wetter.

Ausser L. und den Statisten der Clubs sehe ich
jetzt wenig andere Personen als den Fürsten P., dem
man hier viel Hochmuth und Schroffheit vorwirft,
und von dem man sich überdieß in's Ohr raunt, daß
er ein wahrer Blaubart sey, der seine arme Frau
furchtbar behandelt, und sechs Jahr in einem einsa-
men Waldschloß eingesperrt habe, so daß sie endlich,
der Mißhandlungen müde, in die Scheidung von ihm
habe willigen müssen. Was sagst Du, gute Julie,
zu diesem traurigen Schicksal Deiner besten Freundin?

Wie seltsam gestalten sich doch zuweilen Gerüchte
und Verläumdungen in der Welt! Wie wenig ist
man im Stande vorherzusehen, welche unbegreiflich
heterogene Folgen die Handlungen der Menschen ha-
ben, welche ganz unerwartete Klippen die Lebens-
reise gefahrvoll machen werden -- ja in der morali-
schen wie in der materiellen Welt sieht man nur zu
oft da, wo Waizen gesäet wurde, Unkraut aufgehen,
und dem hingeworfenen Mist Blumen und duftige
Kräuter entsprießen!

Deinen langen Brief habe ich erhalten, und sage
dafür den herzlichsten Dank. Verdenke es mir aber
nicht, daß ich so selten Einzelnes beantworte, ge-
wissermaßen den Empfang jeder Stelle quittire, wel-
che Unterlassung Du mir so oft vorwirfst. Deshalb

ſichtige Schleier über den Mond hin, und gewährten
lange ein eigenthümliches, wildes und reizendes Schau-
ſpiel! Unten war die Luft ganz ſtill und warm, denn
nach der letzten Kälte haben wir wahres Frühlings-
wetter.

Auſſer L. und den Statiſten der Clubs ſehe ich
jetzt wenig andere Perſonen als den Fürſten P., dem
man hier viel Hochmuth und Schroffheit vorwirft,
und von dem man ſich überdieß in’s Ohr raunt, daß
er ein wahrer Blaubart ſey, der ſeine arme Frau
furchtbar behandelt, und ſechs Jahr in einem einſa-
men Waldſchloß eingeſperrt habe, ſo daß ſie endlich,
der Mißhandlungen müde, in die Scheidung von ihm
habe willigen müſſen. Was ſagſt Du, gute Julie,
zu dieſem traurigen Schickſal Deiner beſten Freundin?

Wie ſeltſam geſtalten ſich doch zuweilen Gerüchte
und Verläumdungen in der Welt! Wie wenig iſt
man im Stande vorherzuſehen, welche unbegreiflich
heterogene Folgen die Handlungen der Menſchen ha-
ben, welche ganz unerwartete Klippen die Lebens-
reiſe gefahrvoll machen werden — ja in der morali-
ſchen wie in der materiellen Welt ſieht man nur zu
oft da, wo Waizen geſäet wurde, Unkraut aufgehen,
und dem hingeworfenen Miſt Blumen und duftige
Kräuter entſprießen!

Deinen langen Brief habe ich erhalten, und ſage
dafür den herzlichſten Dank. Verdenke es mir aber
nicht, daß ich ſo ſelten Einzelnes beantworte, ge-
wiſſermaßen den Empfang jeder Stelle quittire, wel-
che Unterlaſſung Du mir ſo oft vorwirfſt. Deshalb

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[271/0287] ſichtige Schleier über den Mond hin, und gewährten lange ein eigenthümliches, wildes und reizendes Schau- ſpiel! Unten war die Luft ganz ſtill und warm, denn nach der letzten Kälte haben wir wahres Frühlings- wetter. Auſſer L. und den Statiſten der Clubs ſehe ich jetzt wenig andere Perſonen als den Fürſten P., dem man hier viel Hochmuth und Schroffheit vorwirft, und von dem man ſich überdieß in’s Ohr raunt, daß er ein wahrer Blaubart ſey, der ſeine arme Frau furchtbar behandelt, und ſechs Jahr in einem einſa- men Waldſchloß eingeſperrt habe, ſo daß ſie endlich, der Mißhandlungen müde, in die Scheidung von ihm habe willigen müſſen. Was ſagſt Du, gute Julie, zu dieſem traurigen Schickſal Deiner beſten Freundin? Wie ſeltſam geſtalten ſich doch zuweilen Gerüchte und Verläumdungen in der Welt! Wie wenig iſt man im Stande vorherzuſehen, welche unbegreiflich heterogene Folgen die Handlungen der Menſchen ha- ben, welche ganz unerwartete Klippen die Lebens- reiſe gefahrvoll machen werden — ja in der morali- ſchen wie in der materiellen Welt ſieht man nur zu oft da, wo Waizen geſäet wurde, Unkraut aufgehen, und dem hingeworfenen Miſt Blumen und duftige Kräuter entſprießen! Deinen langen Brief habe ich erhalten, und ſage dafür den herzlichſten Dank. Verdenke es mir aber nicht, daß ich ſo ſelten Einzelnes beantworte, ge- wiſſermaßen den Empfang jeder Stelle quittire, wel- che Unterlaſſung Du mir ſo oft vorwirfſt. Deshalb

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/287>, abgerufen am 24.11.2024.