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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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den Ohren erzählen; dann vom Kopfe aus den gan-
zen Körper durchgehen, und bald im Leibe, bald im
Rücken, bald in den Beinen über Leiden klagen.
Nachdem er seinen Arzt mit dem Catalog seiner Krank-
heiten, deren Grund, Symptome und Folgen, eine
halbe Stunde kostbarer Zeit geraubt hat, wird er
ihn wohl noch einmal zurückrufen, um noch genauer
zu fragen! was und wie viel er essen und trinken
kann, da er grade jetzt etwas Appetit fühle, oder wie
er sich, warm oder kühl, anzuziehen habe? Der be-
rühmte Doktor Baillie, der so beschäftigt war, daß
er, wie er selbst sagte, einen Arbeitstag von sieben-
zehn Stunden hatte, schwebte in wahrer Furcht vor
nerveusen vornehmen Patienten. Während er einst,
auf die Folterbank gespannt, die endlose Prosa einer
Dame von solcher Beschaffenheit anhören mußte, die
so wenig wirklich krank war, daß sie im Begriff
stand, denselben Abend in die Oper zu fahren -- ge-
lang es ihm endlich, durch die Ankunft eines Dritten
unbemerkt zu entwischen. Aber kaum hatte der Be-
diente den Wagenschlag aufgemacht, als die Kammer-
jungfer ausser Athem herunterstürzte, um den Herrn
Doktor dringend zu ersuchen, nur noch einen Augen-
blick wieder heraufzukommen. Seufzend erschien er.
O bester Doktor, rief die Dame, ich wollte nur wis-
sen, ob ich wohl heute Abend, wenn ich aus der
Oper zurückkomme, Austern essen darf? Ja Madame,
schrie der entrüstete Aesculap, Schalen und Alles."

"Es ist seltsam, daß nerveuse Personen, die, so
lange diese Affektion vorwaltet, so apprehensiv sind,

den Ohren erzählen; dann vom Kopfe aus den gan-
zen Körper durchgehen, und bald im Leibe, bald im
Rücken, bald in den Beinen über Leiden klagen.
Nachdem er ſeinen Arzt mit dem Catalog ſeiner Krank-
heiten, deren Grund, Symptome und Folgen, eine
halbe Stunde koſtbarer Zeit geraubt hat, wird er
ihn wohl noch einmal zurückrufen, um noch genauer
zu fragen! was und wie viel er eſſen und trinken
kann, da er grade jetzt etwas Appetit fühle, oder wie
er ſich, warm oder kühl, anzuziehen habe? Der be-
rühmte Doktor Baillie, der ſo beſchäftigt war, daß
er, wie er ſelbſt ſagte, einen Arbeitstag von ſieben-
zehn Stunden hatte, ſchwebte in wahrer Furcht vor
nerveuſen vornehmen Patienten. Während er einſt,
auf die Folterbank geſpannt, die endloſe Proſa einer
Dame von ſolcher Beſchaffenheit anhören mußte, die
ſo wenig wirklich krank war, daß ſie im Begriff
ſtand, denſelben Abend in die Oper zu fahren — ge-
lang es ihm endlich, durch die Ankunft eines Dritten
unbemerkt zu entwiſchen. Aber kaum hatte der Be-
diente den Wagenſchlag aufgemacht, als die Kammer-
jungfer auſſer Athem herunterſtürzte, um den Herrn
Doktor dringend zu erſuchen, nur noch einen Augen-
blick wieder heraufzukommen. Seufzend erſchien er.
O beſter Doktor, rief die Dame, ich wollte nur wiſ-
ſen, ob ich wohl heute Abend, wenn ich aus der
Oper zurückkomme, Auſtern eſſen darf? Ja Madame,
ſchrie der entrüſtete Aesculap, Schalen und Alles.“

„Es iſt ſeltſam, daß nerveuſe Perſonen, die, ſo
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[266/0282] den Ohren erzählen; dann vom Kopfe aus den gan- zen Körper durchgehen, und bald im Leibe, bald im Rücken, bald in den Beinen über Leiden klagen. Nachdem er ſeinen Arzt mit dem Catalog ſeiner Krank- heiten, deren Grund, Symptome und Folgen, eine halbe Stunde koſtbarer Zeit geraubt hat, wird er ihn wohl noch einmal zurückrufen, um noch genauer zu fragen! was und wie viel er eſſen und trinken kann, da er grade jetzt etwas Appetit fühle, oder wie er ſich, warm oder kühl, anzuziehen habe? Der be- rühmte Doktor Baillie, der ſo beſchäftigt war, daß er, wie er ſelbſt ſagte, einen Arbeitstag von ſieben- zehn Stunden hatte, ſchwebte in wahrer Furcht vor nerveuſen vornehmen Patienten. Während er einſt, auf die Folterbank geſpannt, die endloſe Proſa einer Dame von ſolcher Beſchaffenheit anhören mußte, die ſo wenig wirklich krank war, daß ſie im Begriff ſtand, denſelben Abend in die Oper zu fahren — ge- lang es ihm endlich, durch die Ankunft eines Dritten unbemerkt zu entwiſchen. Aber kaum hatte der Be- diente den Wagenſchlag aufgemacht, als die Kammer- jungfer auſſer Athem herunterſtürzte, um den Herrn Doktor dringend zu erſuchen, nur noch einen Augen- blick wieder heraufzukommen. Seufzend erſchien er. O beſter Doktor, rief die Dame, ich wollte nur wiſ- ſen, ob ich wohl heute Abend, wenn ich aus der Oper zurückkomme, Auſtern eſſen darf? Ja Madame, ſchrie der entrüſtete Aesculap, Schalen und Alles.“ „Es iſt ſeltſam, daß nerveuſe Perſonen, die, ſo lange dieſe Affektion vorwaltet, ſo apprehenſiv ſind,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/282>, abgerufen am 24.11.2024.