Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über-
zeugte ich mich heute sehr lebhaft. -- Wird Lady
Macbeth durch überwiegende Darstellungskunst zur
Hauptrolle gemacht, so sieht man die ganze Tra-
gödie aus einem falschen Gesichtspunkte. Sie wird
eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih-
res Interesses, wenn man nur eine cannibalische
Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel
sieht, der sich wie ein Pinsel von ihr, blos zum
Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.

Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde
vom Anfang an, sein Weib hilft ihm nur nach, und
er ist keineswegs ein ursprünglich edler Mann, der,
durch die Hexen verführt, ein Scheusal wird, was
Unnatur wäre, sondern, wie in Romeo und Julie,
die Leidenschaft der Liebe in einem für sie zu em-
pfänglichen
Gemüth, von der unschuldigen Kind-
lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genusses
hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird
-- so ist hier selbstischer Ehrgeiz der Gegenstand des
Gemäldes, wie er durch böse Mächte ausgebildet, in
Macbeths Person, von ebenfalls nur scheinbarer Un-
schuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu
der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu
Tode gehetzten Bestie gelangt. Dennoch ist der Mann,
in dessen Seele das Gift wühlt, mit so vielen andern
hohen Eigenschaften begabt, daß wir dem Kampfe
und der Entwickelung mit Antheil für den Helden
folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es
seyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-

des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über-
zeugte ich mich heute ſehr lebhaft. — Wird Lady
Macbeth durch überwiegende Darſtellungskunſt zur
Hauptrolle gemacht, ſo ſieht man die ganze Tra-
gödie aus einem falſchen Geſichtspunkte. Sie wird
eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih-
res Intereſſes, wenn man nur eine cannibaliſche
Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel
ſieht, der ſich wie ein Pinſel von ihr, blos zum
Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.

Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde
vom Anfang an, ſein Weib hilft ihm nur nach, und
er iſt keineswegs ein urſprünglich edler Mann, der,
durch die Hexen verführt, ein Scheuſal wird, was
Unnatur wäre, ſondern, wie in Romeo und Julie,
die Leidenſchaft der Liebe in einem für ſie zu em-
pfänglichen
Gemüth, von der unſchuldigen Kind-
lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genuſſes
hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird
— ſo iſt hier ſelbſtiſcher Ehrgeiz der Gegenſtand des
Gemäldes, wie er durch böſe Mächte ausgebildet, in
Macbeths Perſon, von ebenfalls nur ſcheinbarer Un-
ſchuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu
der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu
Tode gehetzten Beſtie gelangt. Dennoch iſt der Mann,
in deſſen Seele das Gift wühlt, mit ſo vielen andern
hohen Eigenſchaften begabt, daß wir dem Kampfe
und der Entwickelung mit Antheil für den Helden
folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es
ſeyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0276" n="260"/>
des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über-<lb/>
zeugte ich mich heute &#x017F;ehr lebhaft. &#x2014; Wird Lady<lb/>
Macbeth durch überwiegende Dar&#x017F;tellungskun&#x017F;t zur<lb/><hi rendition="#g">Hauptrolle</hi> gemacht, &#x017F;o &#x017F;ieht man die ganze Tra-<lb/>
gödie aus einem fal&#x017F;chen Ge&#x017F;ichtspunkte. Sie wird<lb/>
eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih-<lb/>
res Intere&#x017F;&#x017F;es, wenn man nur eine cannibali&#x017F;che<lb/>
Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel<lb/>
&#x017F;ieht, der &#x017F;ich wie ein Pin&#x017F;el von ihr, blos zum<lb/>
Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.</p><lb/>
          <p>Nein, in <hi rendition="#g">ihm</hi> liegt der Hauptkeim der Sünde<lb/>
vom Anfang an, &#x017F;ein Weib hilft ihm nur nach, und<lb/>
er i&#x017F;t keineswegs ein ur&#x017F;prünglich edler Mann, der,<lb/>
durch die Hexen verführt, ein Scheu&#x017F;al wird, was<lb/>
Unnatur wäre, &#x017F;ondern, wie in Romeo und Julie,<lb/>
die Leiden&#x017F;chaft der Liebe in einem für &#x017F;ie <hi rendition="#g">zu em-<lb/>
pfänglichen</hi> Gemüth, von der un&#x017F;chuldigen Kind-<lb/>
lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird<lb/>
&#x2014; &#x017F;o i&#x017F;t hier &#x017F;elb&#x017F;ti&#x017F;cher Ehrgeiz der Gegen&#x017F;tand des<lb/>
Gemäldes, wie er durch bö&#x017F;e Mächte ausgebildet, in<lb/>
Macbeths Per&#x017F;on, von ebenfalls nur &#x017F;cheinbarer Un-<lb/>
&#x017F;chuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu<lb/>
der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu<lb/>
Tode gehetzten Be&#x017F;tie gelangt. Dennoch i&#x017F;t der Mann,<lb/>
in de&#x017F;&#x017F;en Seele das Gift wühlt, mit &#x017F;o vielen andern<lb/>
hohen Eigen&#x017F;chaften begabt, daß wir dem Kampfe<lb/>
und der Entwickelung mit Antheil für den Helden<lb/>
folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es<lb/>
&#x017F;eyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0276] des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über- zeugte ich mich heute ſehr lebhaft. — Wird Lady Macbeth durch überwiegende Darſtellungskunſt zur Hauptrolle gemacht, ſo ſieht man die ganze Tra- gödie aus einem falſchen Geſichtspunkte. Sie wird eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih- res Intereſſes, wenn man nur eine cannibaliſche Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel ſieht, der ſich wie ein Pinſel von ihr, blos zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt. Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde vom Anfang an, ſein Weib hilft ihm nur nach, und er iſt keineswegs ein urſprünglich edler Mann, der, durch die Hexen verführt, ein Scheuſal wird, was Unnatur wäre, ſondern, wie in Romeo und Julie, die Leidenſchaft der Liebe in einem für ſie zu em- pfänglichen Gemüth, von der unſchuldigen Kind- lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genuſſes hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird — ſo iſt hier ſelbſtiſcher Ehrgeiz der Gegenſtand des Gemäldes, wie er durch böſe Mächte ausgebildet, in Macbeths Perſon, von ebenfalls nur ſcheinbarer Un- ſchuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu Tode gehetzten Beſtie gelangt. Dennoch iſt der Mann, in deſſen Seele das Gift wühlt, mit ſo vielen andern hohen Eigenſchaften begabt, daß wir dem Kampfe und der Entwickelung mit Antheil für den Helden folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es ſeyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/276
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/276>, abgerufen am 24.11.2024.