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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Maden nur das schon Krankhafte angreifen, Maebeth
nur deshalb aus, weil sie ihn schon reif für ihre
Zwecke finden. Sie weiß also, was er im Innersten
möchte, und ihn zu befriedigen, hilft sie mit
wilder Leidenschaft nach, schnell, nach Weiberart noch
viel weiter gehend, als er selbst gedachte. Je mehr
Macbeth, sich weigernd, eine halbe Comödie mit sich
selbst und ihr spielt, je mehr wächst ihr Eifer, und
sie ebenfalls stellt sich vor sich selbst und ihm anders,
grausamer und schlechter an, als sie ist, reizt sich
künstlich auf, nur um ihm dadurch den kühnsten Muth
und raschen Entschluß einzuflößen. Ihm opfert sie
nicht nur Alles, was zwischen Macbeth und seinen
geheimen Wünschen steht, sondern auch sich selbst,
die Ruhe ihres Gewissens, ja alle weibliche Gesin-
nung gegen Andere auf, und ruft die unterirdischen
Mächte um Hülfe und Stärke an. Nur auf diese
Weise erscheint mir der Charakter dramatisch, und
der fernere Gang des Stücks psychologisch wahr, im
andern Sinne kann man nur eine Carrikatur darin
finden, deren Shakspeares Schöpferkraft unfähig ist,
welcher immer mögliche Menschen, keine unnatür-
liche Scheusale und Phantasieteufel malt.

So stoßen sich denn Beide endlich gegenseitig in
den Abgrund hinein, während jeder einzeln vielleicht
nie so weit gekommen wäre, Macbeth aber offenbar
mit größerem Egoismus, weshalb auch sein Ende,
wie seine Qual, furchtbarer sind.

Es ist ein großer Vortheil für die Darstellung
dieses Stücks, wenn dem genialsten Talent die Rolle

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Maden nur das ſchon Krankhafte angreifen, Maebeth
nur deshalb aus, weil ſie ihn ſchon reif für ihre
Zwecke finden. Sie weiß alſo, was er im Innerſten
möchte, und ihn zu befriedigen, hilft ſie mit
wilder Leidenſchaft nach, ſchnell, nach Weiberart noch
viel weiter gehend, als er ſelbſt gedachte. Je mehr
Macbeth, ſich weigernd, eine halbe Comödie mit ſich
ſelbſt und ihr ſpielt, je mehr wächst ihr Eifer, und
ſie ebenfalls ſtellt ſich vor ſich ſelbſt und ihm anders,
grauſamer und ſchlechter an, als ſie iſt, reizt ſich
künſtlich auf, nur um ihm dadurch den kühnſten Muth
und raſchen Entſchluß einzuflößen. Ihm opfert ſie
nicht nur Alles, was zwiſchen Macbeth und ſeinen
geheimen Wünſchen ſteht, ſondern auch ſich ſelbſt,
die Ruhe ihres Gewiſſens, ja alle weibliche Geſin-
nung gegen Andere auf, und ruft die unterirdiſchen
Mächte um Hülfe und Stärke an. Nur auf dieſe
Weiſe erſcheint mir der Charakter dramatiſch, und
der fernere Gang des Stücks pſychologiſch wahr, im
andern Sinne kann man nur eine Carrikatur darin
finden, deren Shakspeares Schöpferkraft unfähig iſt,
welcher immer mögliche Menſchen, keine unnatür-
liche Scheuſale und Phantaſieteufel malt.

So ſtoßen ſich denn Beide endlich gegenſeitig in
den Abgrund hinein, während jeder einzeln vielleicht
nie ſo weit gekommen wäre, Macbeth aber offenbar
mit größerem Egoismus, weshalb auch ſein Ende,
wie ſeine Qual, furchtbarer ſind.

Es iſt ein großer Vortheil für die Darſtellung
dieſes Stücks, wenn dem genialſten Talent die Rolle

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[259/0275] Maden nur das ſchon Krankhafte angreifen, Maebeth nur deshalb aus, weil ſie ihn ſchon reif für ihre Zwecke finden. Sie weiß alſo, was er im Innerſten möchte, und ihn zu befriedigen, hilft ſie mit wilder Leidenſchaft nach, ſchnell, nach Weiberart noch viel weiter gehend, als er ſelbſt gedachte. Je mehr Macbeth, ſich weigernd, eine halbe Comödie mit ſich ſelbſt und ihr ſpielt, je mehr wächst ihr Eifer, und ſie ebenfalls ſtellt ſich vor ſich ſelbſt und ihm anders, grauſamer und ſchlechter an, als ſie iſt, reizt ſich künſtlich auf, nur um ihm dadurch den kühnſten Muth und raſchen Entſchluß einzuflößen. Ihm opfert ſie nicht nur Alles, was zwiſchen Macbeth und ſeinen geheimen Wünſchen ſteht, ſondern auch ſich ſelbſt, die Ruhe ihres Gewiſſens, ja alle weibliche Geſin- nung gegen Andere auf, und ruft die unterirdiſchen Mächte um Hülfe und Stärke an. Nur auf dieſe Weiſe erſcheint mir der Charakter dramatiſch, und der fernere Gang des Stücks pſychologiſch wahr, im andern Sinne kann man nur eine Carrikatur darin finden, deren Shakspeares Schöpferkraft unfähig iſt, welcher immer mögliche Menſchen, keine unnatür- liche Scheuſale und Phantaſieteufel malt. So ſtoßen ſich denn Beide endlich gegenſeitig in den Abgrund hinein, während jeder einzeln vielleicht nie ſo weit gekommen wäre, Macbeth aber offenbar mit größerem Egoismus, weshalb auch ſein Ende, wie ſeine Qual, furchtbarer ſind. Es iſt ein großer Vortheil für die Darſtellung dieſes Stücks, wenn dem genialſten Talent die Rolle 17*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/275>, abgerufen am 24.11.2024.