Vaterlandes, deren affektirte Manier keinem Charak- ter Shakspeares gewachsen ist.
Ich theile über diese Rolle nicht nur ganz Tieks bekannte Ansicht, sondern ich möchte noch weiter darin gehen. Die wenigsten Männer verstehen, wie die Liebe eines Weibes Alles blos auf den geliebten Gegenstand beziehen und richten kann, und daher, eine Zeit lang wenigstens, auch nur in Bezug auf ihn Tugend und Laster kennt.
Lady Macbeth, als eine rasende Megäre darge- stellt, die ihren Mann nur als Instrument eigener Ambition gebraucht, ermangelt aller innern Wahr- heit, und noch mehr alles Interesses. Eine Solche würde gar nicht des tiefen Gefühls ihres Elends fä- hig seyn, das sich so schauerlich in der Schlafwach- scene ausspricht, während sie nur vor ihrem Manne, um ihm Muth zu geben, immer als die stärkere er- scheint, nie Furcht und Gewissensbisse zeigt, die sei- nigen verspottet, und sich über sich selbst zu betäuben sucht.
Sie ist allerdings kein sanfter, weiblicher Charak- ter zu nennen, aber weiblich sich äußernde Liebe zu ihrem Manne ist dennoch das Haupt-Motiv ih- res Benehmens.
So wie uns der Dichter ihre heimlichen Leiden deutlich in jener Nachtscene vorführt, so läßt er uns auch sehen, daß Macbeth lange vorher schon die ge- heimen, und sich selbst kaum gestandenen, ehrgeizi- gen Wünsche seiner Brust ihr schon verrathen hat, und auch die Hexen wählen sich, wie Raupen und
Vaterlandes, deren affektirte Manier keinem Charak- ter Shakspeares gewachſen iſt.
Ich theile über dieſe Rolle nicht nur ganz Tieks bekannte Anſicht, ſondern ich möchte noch weiter darin gehen. Die wenigſten Männer verſtehen, wie die Liebe eines Weibes Alles blos auf den geliebten Gegenſtand beziehen und richten kann, und daher, eine Zeit lang wenigſtens, auch nur in Bezug auf ihn Tugend und Laſter kennt.
Lady Macbeth, als eine raſende Megäre darge- ſtellt, die ihren Mann nur als Inſtrument eigener Ambition gebraucht, ermangelt aller innern Wahr- heit, und noch mehr alles Intereſſes. Eine Solche würde gar nicht des tiefen Gefühls ihres Elends fä- hig ſeyn, das ſich ſo ſchauerlich in der Schlafwach- ſcene ausſpricht, während ſie nur vor ihrem Manne, um ihm Muth zu geben, immer als die ſtärkere er- ſcheint, nie Furcht und Gewiſſensbiſſe zeigt, die ſei- nigen verſpottet, und ſich über ſich ſelbſt zu betäuben ſucht.
Sie iſt allerdings kein ſanfter, weiblicher Charak- ter zu nennen, aber weiblich ſich äußernde Liebe zu ihrem Manne iſt dennoch das Haupt-Motiv ih- res Benehmens.
So wie uns der Dichter ihre heimlichen Leiden deutlich in jener Nachtſcene vorführt, ſo läßt er uns auch ſehen, daß Macbeth lange vorher ſchon die ge- heimen, und ſich ſelbſt kaum geſtandenen, ehrgeizi- gen Wünſche ſeiner Bruſt ihr ſchon verrathen hat, und auch die Hexen wählen ſich, wie Raupen und
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Vaterlandes, deren affektirte Manier keinem Charak-
ter Shakspeares gewachſen iſt.
Ich theile über dieſe Rolle nicht nur ganz Tieks
bekannte Anſicht, ſondern ich möchte noch weiter darin
gehen. Die wenigſten Männer verſtehen, wie die
Liebe eines Weibes Alles blos auf den geliebten
Gegenſtand beziehen und richten kann, und daher,
eine Zeit lang wenigſtens, auch nur in Bezug auf
ihn Tugend und Laſter kennt.
Lady Macbeth, als eine raſende Megäre darge-
ſtellt, die ihren Mann nur als Inſtrument eigener
Ambition gebraucht, ermangelt aller innern Wahr-
heit, und noch mehr alles Intereſſes. Eine Solche
würde gar nicht des tiefen Gefühls ihres Elends fä-
hig ſeyn, das ſich ſo ſchauerlich in der Schlafwach-
ſcene ausſpricht, während ſie nur vor ihrem Manne,
um ihm Muth zu geben, immer als die ſtärkere er-
ſcheint, nie Furcht und Gewiſſensbiſſe zeigt, die ſei-
nigen verſpottet, und ſich über ſich ſelbſt zu betäuben
ſucht.
Sie iſt allerdings kein ſanfter, weiblicher Charak-
ter zu nennen, aber weiblich ſich äußernde Liebe zu
ihrem Manne iſt dennoch das Haupt-Motiv ih-
res Benehmens.
So wie uns der Dichter ihre heimlichen Leiden
deutlich in jener Nachtſcene vorführt, ſo läßt er uns
auch ſehen, daß Macbeth lange vorher ſchon die ge-
heimen, und ſich ſelbſt kaum geſtandenen, ehrgeizi-
gen Wünſche ſeiner Bruſt ihr ſchon verrathen hat,
und auch die Hexen wählen ſich, wie Raupen und
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/274>, abgerufen am 24.11.2024.
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