rauschte heute der erste Herbstwind durch ihre weiten Bogen. Andere waren dagegen durch die Zeit ganz umgewandelt, und manche scheußliche Larven grinz- ten mich im Mondlicht wie Todtenschädel an. Da- neben steht eine noch ältere Kirche, welche auch noch im Gebrauch, und von einem mit Tausenden von dicht bemoosten Leichensteinen bedeckten Kirchhof umgeben ist.
Ich wohne in einem ländlichen, aber ganz vortreff- lichen Gafthof, der von zwei Schwestern gehalten wird, welche voller Bereitwilligkeit der Art sind, die nicht aus Interesse, sondern aus wahrer Gutmü- thigkeit entspringt. Da ich etwas zu lesen verlangte, brachten sie mir die Chronik von Whitby, in der ich blätterte, während es draußen heftig stürmte, und der Wind grade so unheimlich pfiff als im guten Schloß zu M.... In dieser Chronik ist einer Schä- tzung der Güter im siebenten Jahrhundert erwähnt, wo Whitby mit Pertinenzien (jetzt vielleicht eine Mil- lion L. St. am Werth) zu 60 Schilling (3 L. St.) angeschlagen ist!
Ich lerne auch daraus, daß die große und pracht- volle Abtey weder durch Feuer noch Schwert, sondern im Wege stiller Gewalt, dem Zahne der Zeit überwiesen wurde. Heinrich VIII. confiscirte dies Kloster mit den übrigen, als er vom Pabste abfiel, und verkaufte alles bis auf die einzelnen Steine der Gebäude. Glücklicherweise erstand, nachdem mehrere Häuser der Stadt von dem Material der Abtey schon aufgebaut worden waren, noch der Ahnherr des jetzigen
rauſchte heute der erſte Herbſtwind durch ihre weiten Bogen. Andere waren dagegen durch die Zeit ganz umgewandelt, und manche ſcheußliche Larven grinz- ten mich im Mondlicht wie Todtenſchädel an. Da- neben ſteht eine noch ältere Kirche, welche auch noch im Gebrauch, und von einem mit Tauſenden von dicht bemoosten Leichenſteinen bedeckten Kirchhof umgeben iſt.
Ich wohne in einem ländlichen, aber ganz vortreff- lichen Gafthof, der von zwei Schweſtern gehalten wird, welche voller Bereitwilligkeit der Art ſind, die nicht aus Intereſſe, ſondern aus wahrer Gutmü- thigkeit entſpringt. Da ich etwas zu leſen verlangte, brachten ſie mir die Chronik von Whitby, in der ich blätterte, während es draußen heftig ſtürmte, und der Wind grade ſo unheimlich pfiff als im guten Schloß zu M.... In dieſer Chronik iſt einer Schä- tzung der Güter im ſiebenten Jahrhundert erwähnt, wo Whitby mit Pertinenzien (jetzt vielleicht eine Mil- lion L. St. am Werth) zu 60 Schilling (3 L. St.) angeſchlagen iſt!
Ich lerne auch daraus, daß die große und pracht- volle Abtey weder durch Feuer noch Schwert, ſondern im Wege ſtiller Gewalt, dem Zahne der Zeit überwieſen wurde. Heinrich VIII. confiscirte dies Kloſter mit den übrigen, als er vom Pabſte abfiel, und verkaufte alles bis auf die einzelnen Steine der Gebäude. Glücklicherweiſe erſtand, nachdem mehrere Häuſer der Stadt von dem Material der Abtey ſchon aufgebaut worden waren, noch der Ahnherr des jetzigen
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[205/0221]
rauſchte heute der erſte Herbſtwind durch ihre weiten
Bogen. Andere waren dagegen durch die Zeit ganz
umgewandelt, und manche ſcheußliche Larven grinz-
ten mich im Mondlicht wie Todtenſchädel an. Da-
neben ſteht eine noch ältere Kirche, welche auch noch
im Gebrauch, und von einem mit Tauſenden von
dicht bemoosten Leichenſteinen bedeckten Kirchhof
umgeben iſt.
Ich wohne in einem ländlichen, aber ganz vortreff-
lichen Gafthof, der von zwei Schweſtern gehalten
wird, welche voller Bereitwilligkeit der Art ſind, die
nicht aus Intereſſe, ſondern aus wahrer Gutmü-
thigkeit entſpringt. Da ich etwas zu leſen verlangte,
brachten ſie mir die Chronik von Whitby, in der ich
blätterte, während es draußen heftig ſtürmte, und
der Wind grade ſo unheimlich pfiff als im guten
Schloß zu M.... In dieſer Chronik iſt einer Schä-
tzung der Güter im ſiebenten Jahrhundert erwähnt,
wo Whitby mit Pertinenzien (jetzt vielleicht eine Mil-
lion L. St. am Werth) zu 60 Schilling (3 L. St.)
angeſchlagen iſt!
Ich lerne auch daraus, daß die große und pracht-
volle Abtey weder durch Feuer noch Schwert,
ſondern im Wege ſtiller Gewalt, dem Zahne der Zeit
überwieſen wurde. Heinrich VIII. confiscirte dies
Kloſter mit den übrigen, als er vom Pabſte abfiel,
und verkaufte alles bis auf die einzelnen Steine der
Gebäude. Glücklicherweiſe erſtand, nachdem mehrere
Häuſer der Stadt von dem Material der Abtey ſchon
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/221>, abgerufen am 24.11.2024.
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