Entfernungen werden hier ganz anders calculirt als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte mich heute, fünf deutsche Meilen weit, bequem in zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mie- thete ich ein anderes Pferd, um den noch 11/2 deutsche Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Fel- senhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merk- würdig machen. Es war das schönste Wetter ge- worden, und dabei sehr windig, so daß ich diesmal wenigstens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, -- ich irrte mich aber sehr, denn kaum bei den Meerfelsen angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platz- regen, sondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine ange- nehme Veränderung, denn Donner und Blitz nah- men sich auf der Spitze der Kalkfelsen, senkrecht über dem schäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Doua- nier, welcher mich begleitete (es ist eine Station die- ser Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir, den nur ein leichter Frack schützte, zwar sehr gefällig einen Regenschirm, der Sturm erlaubte aber nicht, auf dem gefährlichen und schlüpfrigen Wege über den Abgrund sich desselben zu bedienen. Das Meer hat die Kalkfelsen hier so unter- und ausgewaschen, daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Wasser stehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den schwarzen Himmel noch greller gemacht, riesenhaften Seegespenstern gliechen, in weite Leichentücher ge-
Flamboroughhead den 24ſten Abends.
Entfernungen werden hier ganz anders calculirt als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte mich heute, fünf deutſche Meilen weit, bequem in zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mie- thete ich ein anderes Pferd, um den noch 1½ deutſche Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Fel- ſenhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merk- würdig machen. Es war das ſchönſte Wetter ge- worden, und dabei ſehr windig, ſo daß ich diesmal wenigſtens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, — ich irrte mich aber ſehr, denn kaum bei den Meerfelſen angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platz- regen, ſondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine ange- nehme Veränderung, denn Donner und Blitz nah- men ſich auf der Spitze der Kalkfelſen, ſenkrecht über dem ſchäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Doua- nier, welcher mich begleitete (es iſt eine Station die- ſer Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir, den nur ein leichter Frack ſchützte, zwar ſehr gefällig einen Regenſchirm, der Sturm erlaubte aber nicht, auf dem gefährlichen und ſchlüpfrigen Wege über den Abgrund ſich desſelben zu bedienen. Das Meer hat die Kalkfelſen hier ſo unter- und ausgewaſchen, daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Waſſer ſtehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den ſchwarzen Himmel noch greller gemacht, rieſenhaften Seegeſpenſtern gliechen, in weite Leichentücher ge-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0214"n="198"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Flamboroughhead den 24ſten Abends.</hi></dateline></opener><lb/><p>Entfernungen werden hier ganz anders calculirt<lb/>
als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte<lb/>
mich heute, fünf deutſche Meilen weit, bequem in<lb/>
zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mie-<lb/>
thete ich ein anderes Pferd, um den noch 1½ deutſche<lb/>
Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Fel-<lb/>ſenhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merk-<lb/>
würdig machen. Es war das ſchönſte Wetter ge-<lb/>
worden, und dabei ſehr windig, ſo daß ich diesmal<lb/>
wenigſtens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, — ich<lb/>
irrte mich aber ſehr, denn kaum bei den Meerfelſen<lb/>
angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platz-<lb/>
regen, ſondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich<lb/>
ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine ange-<lb/>
nehme Veränderung, denn Donner und Blitz nah-<lb/>
men ſich auf der Spitze der Kalkfelſen, ſenkrecht über<lb/>
dem ſchäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Doua-<lb/>
nier, welcher mich begleitete (es iſt eine Station die-<lb/>ſer Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir,<lb/>
den nur ein leichter Frack ſchützte, zwar ſehr gefällig<lb/>
einen Regenſchirm, der Sturm erlaubte aber nicht,<lb/>
auf dem gefährlichen und ſchlüpfrigen Wege über<lb/>
den Abgrund ſich desſelben zu bedienen. Das Meer<lb/>
hat die Kalkfelſen hier ſo unter- und ausgewaſchen,<lb/>
daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Waſſer<lb/>ſtehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den<lb/>ſchwarzen Himmel noch greller gemacht, rieſenhaften<lb/>
Seegeſpenſtern gliechen, in weite Leichentücher ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0214]
Flamboroughhead den 24ſten Abends.
Entfernungen werden hier ganz anders calculirt
als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte
mich heute, fünf deutſche Meilen weit, bequem in
zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mie-
thete ich ein anderes Pferd, um den noch 1½ deutſche
Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Fel-
ſenhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merk-
würdig machen. Es war das ſchönſte Wetter ge-
worden, und dabei ſehr windig, ſo daß ich diesmal
wenigſtens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, — ich
irrte mich aber ſehr, denn kaum bei den Meerfelſen
angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platz-
regen, ſondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich
ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine ange-
nehme Veränderung, denn Donner und Blitz nah-
men ſich auf der Spitze der Kalkfelſen, ſenkrecht über
dem ſchäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Doua-
nier, welcher mich begleitete (es iſt eine Station die-
ſer Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir,
den nur ein leichter Frack ſchützte, zwar ſehr gefällig
einen Regenſchirm, der Sturm erlaubte aber nicht,
auf dem gefährlichen und ſchlüpfrigen Wege über
den Abgrund ſich desſelben zu bedienen. Das Meer
hat die Kalkfelſen hier ſo unter- und ausgewaſchen,
daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Waſſer
ſtehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den
ſchwarzen Himmel noch greller gemacht, rieſenhaften
Seegeſpenſtern gliechen, in weite Leichentücher ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.