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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Ich habe nun das gehörige Gleichgewicht herge-
stellt, d. h. meine Hände sind eben so müde vom
Schreiben, als meine Beine vom Gehen. Es ist
Zeit, dem Magen auch einige Arbeit zu gönnen. Wäre
ich Walter Scott, so gäbe ich Dir den Küchenzettel,
so aber wage ich es nicht, statt dessen lieber noch ein
Wort über die Nachtisch-Lektüre, zu der mir wiederum
die berühmte Maintenon gedient.

Es rührte mich, wie die arme Frau das traurige
Einerlei, die bittere Gene ihrer Lage so treu schil-
dert, und sich so oft und herzlich, mit unverkennba-
rer Wahrheit, nach dem Abtreten von diesem Thea-
ter sehnt, das wie sie sagt, schlimmer wie jedes an-
dere, von Morgen bis Abend dauert! Un-
ter aller Pracht und Macht scheint ihr doch der Tod
das Wünschenswertbeste, und man kann sich nach so
unendlich langer Leere, nach dem Aufopfern aller
Eigenthümlichkeit so viele, viele Jahre hindurch, die
tödtliche Ermüdung des Geistes wohl denken, die
nach Erlösung schmachtet. Der religieuse Wahn, dem
sie sich hingegeben, ist auch daraus erklärlicher, und
lag überdem in der Zeit, die in dieser Hinsicht völlig
kindisch war. Hätte ein Geist wie Frau von Main-
tenon später gelebt, so würden Molinisten und Jan-
senisten ihr kaum ein Lächeln der Verachtung abge-
wonnen haben, in der ihrigen war es anders. Sie
bleibt in ihrer Art eine große Frau, wie Ludwig
der XIV. ein großer König, in einer kleinen Zeit,
die eben, weil sie klein war, die kleinen Dinge,
Hof, Gesellschaft etc., weit vollkommner ausbildete

Ich habe nun das gehörige Gleichgewicht herge-
ſtellt, d. h. meine Hände ſind eben ſo müde vom
Schreiben, als meine Beine vom Gehen. Es iſt
Zeit, dem Magen auch einige Arbeit zu gönnen. Wäre
ich Walter Scott, ſo gäbe ich Dir den Küchenzettel,
ſo aber wage ich es nicht, ſtatt deſſen lieber noch ein
Wort über die Nachtiſch-Lektüre, zu der mir wiederum
die berühmte Maintenon gedient.

Es rührte mich, wie die arme Frau das traurige
Einerlei, die bittere Géne ihrer Lage ſo treu ſchil-
dert, und ſich ſo oft und herzlich, mit unverkennba-
rer Wahrheit, nach dem Abtreten von dieſem Thea-
ter ſehnt, das wie ſie ſagt, ſchlimmer wie jedes an-
dere, von Morgen bis Abend dauert! Un-
ter aller Pracht und Macht ſcheint ihr doch der Tod
das Wünſchenswertbeſte, und man kann ſich nach ſo
unendlich langer Leere, nach dem Aufopfern aller
Eigenthümlichkeit ſo viele, viele Jahre hindurch, die
tödtliche Ermüdung des Geiſtes wohl denken, die
nach Erlöſung ſchmachtet. Der religieuſe Wahn, dem
ſie ſich hingegeben, iſt auch daraus erklärlicher, und
lag überdem in der Zeit, die in dieſer Hinſicht völlig
kindiſch war. Hätte ein Geiſt wie Frau von Main-
tenon ſpäter gelebt, ſo würden Moliniſten und Jan-
ſeniſten ihr kaum ein Lächeln der Verachtung abge-
wonnen haben, in der ihrigen war es anders. Sie
bleibt in ihrer Art eine große Frau, wie Ludwig
der XIV. ein großer König, in einer kleinen Zeit,
die eben, weil ſie klein war, die kleinen Dinge,
Hof, Geſellſchaft ꝛc., weit vollkommner ausbildete

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[186/0202] Ich habe nun das gehörige Gleichgewicht herge- ſtellt, d. h. meine Hände ſind eben ſo müde vom Schreiben, als meine Beine vom Gehen. Es iſt Zeit, dem Magen auch einige Arbeit zu gönnen. Wäre ich Walter Scott, ſo gäbe ich Dir den Küchenzettel, ſo aber wage ich es nicht, ſtatt deſſen lieber noch ein Wort über die Nachtiſch-Lektüre, zu der mir wiederum die berühmte Maintenon gedient. Es rührte mich, wie die arme Frau das traurige Einerlei, die bittere Géne ihrer Lage ſo treu ſchil- dert, und ſich ſo oft und herzlich, mit unverkennba- rer Wahrheit, nach dem Abtreten von dieſem Thea- ter ſehnt, das wie ſie ſagt, ſchlimmer wie jedes an- dere, von Morgen bis Abend dauert! Un- ter aller Pracht und Macht ſcheint ihr doch der Tod das Wünſchenswertbeſte, und man kann ſich nach ſo unendlich langer Leere, nach dem Aufopfern aller Eigenthümlichkeit ſo viele, viele Jahre hindurch, die tödtliche Ermüdung des Geiſtes wohl denken, die nach Erlöſung ſchmachtet. Der religieuſe Wahn, dem ſie ſich hingegeben, iſt auch daraus erklärlicher, und lag überdem in der Zeit, die in dieſer Hinſicht völlig kindiſch war. Hätte ein Geiſt wie Frau von Main- tenon ſpäter gelebt, ſo würden Moliniſten und Jan- ſeniſten ihr kaum ein Lächeln der Verachtung abge- wonnen haben, in der ihrigen war es anders. Sie bleibt in ihrer Art eine große Frau, wie Ludwig der XIV. ein großer König, in einer kleinen Zeit, die eben, weil ſie klein war, die kleinen Dinge, Hof, Geſellſchaft ꝛc., weit vollkommner ausbildete

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/202>, abgerufen am 24.11.2024.