götzen mag. Eine solche Existenz nennen wir Men- schen nur unnütz! Welcher aimable Egoismus -- dessen ungerechte Verdammung ich auch mit leiden muß, denn meine erwähnten schönen Tugenden blei- ben ebenfalls unnütz, und meine ganze Person wäre es vielleicht, wenn ich nicht glücklicherweise wenigstens meinen Leuten, nebst verschiedenen Gastwirthen und Posthaltern, indem ich sie täglich bezahle, noch im- mer von reellem Nutzen, und Dir, gute Julie (je m'en fiatte au moins) aus andern Gründen gar un- entbehrlich wäre.
Also ganz um nichts und wieder nichts lebe ich nicht auf der Welt, und da ich auf der andern Seite Niemanden schade, gleichsam Einnahme ohne Aus- gabe, so stellt sich meine Rechnung noch immer leid- lich genug.
Diesen ganzen Tag bin ich in der Stadt umher gewandert. Ich begann mit dem Dome, der rück- sichtlich des Reichthums seiner Zierrathen, wie auch seiner Größe, mit dem Mailänder einige Aehnlichkeit hat. Der Erbauer, d. h. der ihn zu bauen anfing, war Erzbischof Scope, eine Shakspear'sche Person, den Heinrich IV. 1405 als Rebell köpfen ließ. Er liegt in der Kirche begraben, und im Kapitelhause daneben ist noch ein Tisch mit einem ihm früher zu- gehörigen, also vierhundert Jahre alten Teppich be- deckt, auf dem sein Wappen vielfach eingewürkt ist. Der Teppich ist immer noch in leidlichen Umständen. Die Fenster im Dom sind größtentheils von altem, buntem Glase (eine große Seltenheit in England),
götzen mag. Eine ſolche Exiſtenz nennen wir Men- ſchen nur unnütz! Welcher aimable Egoismus — deſſen ungerechte Verdammung ich auch mit leiden muß, denn meine erwähnten ſchönen Tugenden blei- ben ebenfalls unnütz, und meine ganze Perſon wäre es vielleicht, wenn ich nicht glücklicherweiſe wenigſtens meinen Leuten, nebſt verſchiedenen Gaſtwirthen und Poſthaltern, indem ich ſie täglich bezahle, noch im- mer von reellem Nutzen, und Dir, gute Julie (je m’en fiatte au moins) aus andern Gründen gar un- entbehrlich wäre.
Alſo ganz um nichts und wieder nichts lebe ich nicht auf der Welt, und da ich auf der andern Seite Niemanden ſchade, gleichſam Einnahme ohne Aus- gabe, ſo ſtellt ſich meine Rechnung noch immer leid- lich genug.
Dieſen ganzen Tag bin ich in der Stadt umher gewandert. Ich begann mit dem Dome, der rück- ſichtlich des Reichthums ſeiner Zierrathen, wie auch ſeiner Größe, mit dem Mailänder einige Aehnlichkeit hat. Der Erbauer, d. h. der ihn zu bauen anfing, war Erzbiſchof Scope, eine Shakspear’ſche Perſon, den Heinrich IV. 1405 als Rebell köpfen ließ. Er liegt in der Kirche begraben, und im Kapitelhauſe daneben iſt noch ein Tiſch mit einem ihm früher zu- gehörigen, alſo vierhundert Jahre alten Teppich be- deckt, auf dem ſein Wappen vielfach eingewürkt iſt. Der Teppich iſt immer noch in leidlichen Umſtänden. Die Fenſter im Dom ſind größtentheils von altem, buntem Glaſe (eine große Seltenheit in England),
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götzen mag. Eine ſolche Exiſtenz nennen wir Men-
ſchen nur unnütz! Welcher aimable Egoismus —
deſſen ungerechte Verdammung ich auch mit leiden
muß, denn meine erwähnten ſchönen Tugenden blei-
ben ebenfalls unnütz, und meine ganze Perſon wäre
es vielleicht, wenn ich nicht glücklicherweiſe wenigſtens
meinen Leuten, nebſt verſchiedenen Gaſtwirthen und
Poſthaltern, indem ich ſie täglich bezahle, noch im-
mer von reellem Nutzen, und Dir, gute Julie (je
m’en fiatte au moins) aus andern Gründen gar un-
entbehrlich wäre.
Alſo ganz um nichts und wieder nichts lebe ich
nicht auf der Welt, und da ich auf der andern Seite
Niemanden ſchade, gleichſam Einnahme ohne Aus-
gabe, ſo ſtellt ſich meine Rechnung noch immer leid-
lich genug.
Dieſen ganzen Tag bin ich in der Stadt umher
gewandert. Ich begann mit dem Dome, der rück-
ſichtlich des Reichthums ſeiner Zierrathen, wie auch
ſeiner Größe, mit dem Mailänder einige Aehnlichkeit
hat. Der Erbauer, d. h. der ihn zu bauen anfing,
war Erzbiſchof Scope, eine Shakspear’ſche Perſon,
den Heinrich IV. 1405 als Rebell köpfen ließ. Er
liegt in der Kirche begraben, und im Kapitelhauſe
daneben iſt noch ein Tiſch mit einem ihm früher zu-
gehörigen, alſo vierhundert Jahre alten Teppich be-
deckt, auf dem ſein Wappen vielfach eingewürkt iſt.
Der Teppich iſt immer noch in leidlichen Umſtänden.
Die Fenſter im Dom ſind größtentheils von altem,
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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