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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Merkwürdig war mir noch ein kleines, schönge-
formtes Windspiel, welches in einem Keller ver-
mauert, und nach vielen Jahren im Zustand völliger
Vertrocknung gefunden wurde. Es erschien wie von
grauem Sandstein ausgehauen, und bot ein rühren-
des Bild der Resignation, wie zum Schlaf zusam-
mengerollt, und mit einem so wehmüthigen Ausdruck
des Köpfchens dar, daß man es nicht ohne Mitleid
ansehen konnte. Eine eben so verhungerte und ver-
trocknete Katze sah dagegen wild und teuflisch aus.
So, dachte ich mir, bleibt Sanftmuth selbst im Lei-
den schön! Es war wie ein Bild des Guten und Bö-
sen in gleicher Lage, und doch mit so verschiedener
Wirkung.

Endlich muß ich noch des Skeletts des berühmten
Franzosen erwähnen, der sich, noch lebend, doch schon
als Skelett hier sehen ließ, da wirklich seine Knochen
fast ganz ohne Fleisch und nur von Haut bedeckt wa-
ren. Sein Magen war kleiner wie bei einem neuge-
bornen Kinde, und der Aermste zu einer fortwähren-
den Hungerkur verdammt, da er nicht mehr als eine
halbe Tasse Bouillon täglich verzehren konnte. Er
ward zwanzig Jahre alt, starb hier in London, und
verkaufte sich noch lebendig dem Museo.

Während dem Zuhausefahren hatte ich beim Wech-
seln am Turnpike eine Menge kleines Geld bekom-
men, und amüsirte mich, in einer seltsamen Laune,
jedesmal wenn ich einem arm aussehenden zerlump-
ten Menschen begegnete, ein Stück dieses Geldes
stillschweigend aus dem Wagen fallen zu lassen. Auch
nicht einer ward es gewahr, sie gingen alle ruhig vor-

Merkwürdig war mir noch ein kleines, ſchönge-
formtes Windſpiel, welches in einem Keller ver-
mauert, und nach vielen Jahren im Zuſtand völliger
Vertrocknung gefunden wurde. Es erſchien wie von
grauem Sandſtein ausgehauen, und bot ein rühren-
des Bild der Reſignation, wie zum Schlaf zuſam-
mengerollt, und mit einem ſo wehmüthigen Ausdruck
des Köpfchens dar, daß man es nicht ohne Mitleid
anſehen konnte. Eine eben ſo verhungerte und ver-
trocknete Katze ſah dagegen wild und teufliſch aus.
So, dachte ich mir, bleibt Sanftmuth ſelbſt im Lei-
den ſchön! Es war wie ein Bild des Guten und Bö-
ſen in gleicher Lage, und doch mit ſo verſchiedener
Wirkung.

Endlich muß ich noch des Skeletts des berühmten
Franzoſen erwähnen, der ſich, noch lebend, doch ſchon
als Skelett hier ſehen ließ, da wirklich ſeine Knochen
faſt ganz ohne Fleiſch und nur von Haut bedeckt wa-
ren. Sein Magen war kleiner wie bei einem neuge-
bornen Kinde, und der Aermſte zu einer fortwähren-
den Hungerkur verdammt, da er nicht mehr als eine
halbe Taſſe Bouillon täglich verzehren konnte. Er
ward zwanzig Jahre alt, ſtarb hier in London, und
verkaufte ſich noch lebendig dem Muſeo.

Während dem Zuhauſefahren hatte ich beim Wech-
ſeln am Turnpike eine Menge kleines Geld bekom-
men, und amüſirte mich, in einer ſeltſamen Laune,
jedesmal wenn ich einem arm ausſehenden zerlump-
ten Menſchen begegnete, ein Stück dieſes Geldes
ſtillſchweigend aus dem Wagen fallen zu laſſen. Auch
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[140/0156] Merkwürdig war mir noch ein kleines, ſchönge- formtes Windſpiel, welches in einem Keller ver- mauert, und nach vielen Jahren im Zuſtand völliger Vertrocknung gefunden wurde. Es erſchien wie von grauem Sandſtein ausgehauen, und bot ein rühren- des Bild der Reſignation, wie zum Schlaf zuſam- mengerollt, und mit einem ſo wehmüthigen Ausdruck des Köpfchens dar, daß man es nicht ohne Mitleid anſehen konnte. Eine eben ſo verhungerte und ver- trocknete Katze ſah dagegen wild und teufliſch aus. So, dachte ich mir, bleibt Sanftmuth ſelbſt im Lei- den ſchön! Es war wie ein Bild des Guten und Bö- ſen in gleicher Lage, und doch mit ſo verſchiedener Wirkung. Endlich muß ich noch des Skeletts des berühmten Franzoſen erwähnen, der ſich, noch lebend, doch ſchon als Skelett hier ſehen ließ, da wirklich ſeine Knochen faſt ganz ohne Fleiſch und nur von Haut bedeckt wa- ren. Sein Magen war kleiner wie bei einem neuge- bornen Kinde, und der Aermſte zu einer fortwähren- den Hungerkur verdammt, da er nicht mehr als eine halbe Taſſe Bouillon täglich verzehren konnte. Er ward zwanzig Jahre alt, ſtarb hier in London, und verkaufte ſich noch lebendig dem Muſeo. Während dem Zuhauſefahren hatte ich beim Wech- ſeln am Turnpike eine Menge kleines Geld bekom- men, und amüſirte mich, in einer ſeltſamen Laune, jedesmal wenn ich einem arm ausſehenden zerlump- ten Menſchen begegnete, ein Stück dieſes Geldes ſtillſchweigend aus dem Wagen fallen zu laſſen. Auch nicht einer ward es gewahr, ſie gingen alle ruhig vor-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/156>, abgerufen am 24.11.2024.