einladende Beschreibung eines Freundes verlockt, ein schmales Stück von einem besonders vortrefflichen und wohlfeilen Käse zu kaufen. Doch ehe er noch da- mit zu Haus kam, überfielen ihn schon Gewissensbisse und Reue. Er verwünschte seine thörichte Extra- vaganz, und statt den Käse, wie er früher beabsichtigte, zu essen, verschloß er ihn in eine Flasche, und begnügte sich in Gesellschaft des Knaben bei jedem Mahle ihre Brodrinden im Angesicht des Käses zu genießen, dieselbe aber vor jedem Bissen gegen die Bouteille zu reiben, und so den Käse einstweilen nur mit der Einbildungskraft zu schmecken. Einmal, berichtet die Geschichte weiter, verspätete Harpagon sich auswärts, und fand, als er eine Stunde nach der Essenszeit zu Haus kam, seinen Sohn bereits mit der täglichen Brodrinde beschäftigt, und diese emsig gegen die Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel? rief er verwundert aus: "O Vater! es ist Essens- zeit, Ihr habt den Schlüssel zum Schranke mitge- nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis- chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur Flasche kommen konnte." Infame Range, schrie der Vater im höchsten Zorne, kannst Du nicht einen ein- zigen Tag ohne Käse leben? Geh mir aus den Au- gen, verschwenderische Brut, Du wirst nimmer ein reicher Mann werden.
So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich ebenfalls längst aufgegeben.
einladende Beſchreibung eines Freundes verlockt, ein ſchmales Stück von einem beſonders vortrefflichen und wohlfeilen Käſe zu kaufen. Doch ehe er noch da- mit zu Haus kam, überfielen ihn ſchon Gewiſſensbiſſe und Reue. Er verwünſchte ſeine thörichte Extra- vaganz, und ſtatt den Käſe, wie er früher beabſichtigte, zu eſſen, verſchloß er ihn in eine Flaſche, und begnügte ſich in Geſellſchaft des Knaben bei jedem Mahle ihre Brodrinden im Angeſicht des Käſes zu genießen, dieſelbe aber vor jedem Biſſen gegen die Bouteille zu reiben, und ſo den Käſe einſtweilen nur mit der Einbildungskraft zu ſchmecken. Einmal, berichtet die Geſchichte weiter, verſpätete Harpagon ſich auswärts, und fand, als er eine Stunde nach der Eſſenszeit zu Haus kam, ſeinen Sohn bereits mit der täglichen Brodrinde beſchäftigt, und dieſe emſig gegen die Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel? rief er verwundert aus: „O Vater! es iſt Eſſens- zeit, Ihr habt den Schlüſſel zum Schranke mitge- nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis- chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur Flaſche kommen konnte.“ Infame Range, ſchrie der Vater im höchſten Zorne, kannſt Du nicht einen ein- zigen Tag ohne Käſe leben? Geh mir aus den Au- gen, verſchwenderiſche Brut, Du wirſt nimmer ein reicher Mann werden.
So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich ebenfalls längſt aufgegeben.
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einladende Beſchreibung eines Freundes verlockt, ein
ſchmales Stück von einem beſonders vortrefflichen
und wohlfeilen Käſe zu kaufen. Doch ehe er noch da-
mit zu Haus kam, überfielen ihn ſchon Gewiſſensbiſſe
und Reue. Er verwünſchte ſeine thörichte Extra-
vaganz, und ſtatt den Käſe, wie er früher beabſichtigte, zu
eſſen, verſchloß er ihn in eine Flaſche, und begnügte
ſich in Geſellſchaft des Knaben bei jedem Mahle ihre
Brodrinden im Angeſicht des Käſes zu genießen,
dieſelbe aber vor jedem Biſſen gegen die Bouteille zu
reiben, und ſo den Käſe einſtweilen nur mit der
Einbildungskraft zu ſchmecken. Einmal, berichtet die
Geſchichte weiter, verſpätete Harpagon ſich auswärts,
und fand, als er eine Stunde nach der Eſſenszeit zu
Haus kam, ſeinen Sohn bereits mit der täglichen
Brodrinde beſchäftigt, und dieſe emſig gegen die
Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel?
rief er verwundert aus: „O Vater! es iſt Eſſens-
zeit, Ihr habt den Schlüſſel zum Schranke mitge-
nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis-
chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur
Flaſche kommen konnte.“ Infame Range, ſchrie der
Vater im höchſten Zorne, kannſt Du nicht einen ein-
zigen Tag ohne Käſe leben? Geh mir aus den Au-
gen, verſchwenderiſche Brut, Du wirſt nimmer ein
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So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen
die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/137>, abgerufen am 24.11.2024.
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