Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

schiedenen Stände in der Gesellschaft, und ihre Zahl
in London bekanntlich eben so groß, als die der
sämmtlichen Einwohner Berlins.

Es ist kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von
hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe,
das ich diesen Morgen besuchte. Nirgends logiren
die Narren besser, das heißt die eingesperrten. Ein
pleasure ground befindet sich vor dem Thore des
Palastes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßi-
ger eingerichtet seyn als das Innere. Als ich in
die erste Weiber-Galerie, von einer sehr hübschen
jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich
eins der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre
alt, lange aufmerksam, und kam dann plötzlich auf
mich zu, indem sie sagte: You are a foreigner --
J. Know You Prince!
Warum haben Sie Ihre Uni-
form nicht angezogen, um mich zu besuchen, fuhr sie
fort, das hätte sich besser geschickt. Ach wie schon
sah Charles unter der seinigen aus!

Die arme Seele, sagte die Schließerin, welche mein
Befremden gewahr ward, ist von einem fremden
Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem
Ausländer einen solchen zu sehen. Manchmal weint
sie Tagelang, und läßt dann Niemanden sich nahe
kommen. Nachher ist sie wieder Wochenlang ganz
vernünftig. Einst war sie sehr schön, aber der Kum-
mer hat jeden Reiz von ihr abgestreift.

Merkwürdig war ein reicher und sehr gebildeter
junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er

ſchiedenen Stände in der Geſellſchaft, und ihre Zahl
in London bekanntlich eben ſo groß, als die der
ſämmtlichen Einwohner Berlins.

Es iſt kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von
hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe,
das ich dieſen Morgen beſuchte. Nirgends logiren
die Narren beſſer, das heißt die eingeſperrten. Ein
pleasure ground befindet ſich vor dem Thore des
Palaſtes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßi-
ger eingerichtet ſeyn als das Innere. Als ich in
die erſte Weiber-Galerie, von einer ſehr hübſchen
jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich
eins der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre
alt, lange aufmerkſam, und kam dann plötzlich auf
mich zu, indem ſie ſagte: You are a foreigner —
J. Know You Prince!
Warum haben Sie Ihre Uni-
form nicht angezogen, um mich zu beſuchen, fuhr ſie
fort, das hätte ſich beſſer geſchickt. Ach wie ſchon
ſah Charles unter der ſeinigen aus!

Die arme Seele, ſagte die Schließerin, welche mein
Befremden gewahr ward, iſt von einem fremden
Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem
Ausländer einen ſolchen zu ſehen. Manchmal weint
ſie Tagelang, und läßt dann Niemanden ſich nahe
kommen. Nachher iſt ſie wieder Wochenlang ganz
vernünftig. Einſt war ſie ſehr ſchön, aber der Kum-
mer hat jeden Reiz von ihr abgeſtreift.

Merkwürdig war ein reicher und ſehr gebildeter
junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="107"/>
&#x017F;chiedenen Stände in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, und ihre Zahl<lb/>
in London bekanntlich eben &#x017F;o groß, als die der<lb/>
&#x017F;ämmtlichen Einwohner Berlins.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von<lb/>
hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe,<lb/>
das ich die&#x017F;en Morgen be&#x017F;uchte. Nirgends logiren<lb/>
die Narren be&#x017F;&#x017F;er, das heißt die einge&#x017F;perrten. Ein<lb/><hi rendition="#aq">pleasure ground</hi> befindet &#x017F;ich vor dem Thore des<lb/>
Pala&#x017F;tes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßi-<lb/>
ger eingerichtet &#x017F;eyn als das Innere. Als ich in<lb/>
die er&#x017F;te Weiber-Galerie, von einer &#x017F;ehr hüb&#x017F;chen<lb/>
jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich<lb/>
eins der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre<lb/>
alt, lange aufmerk&#x017F;am, und kam dann plötzlich auf<lb/>
mich zu, indem &#x017F;ie &#x017F;agte: <hi rendition="#aq">You are a foreigner &#x2014;<lb/>
J. Know You Prince!</hi> Warum haben Sie Ihre Uni-<lb/>
form nicht angezogen, um mich zu be&#x017F;uchen, fuhr &#x017F;ie<lb/>
fort, das hätte &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;chickt. Ach wie &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;ah Charles unter der &#x017F;einigen aus!</p><lb/>
          <p>Die arme Seele, &#x017F;agte die Schließerin, welche mein<lb/>
Befremden gewahr ward, i&#x017F;t von einem fremden<lb/>
Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem<lb/>
Ausländer einen &#x017F;olchen zu &#x017F;ehen. Manchmal weint<lb/>
&#x017F;ie Tagelang, und läßt dann Niemanden &#x017F;ich nahe<lb/>
kommen. Nachher i&#x017F;t &#x017F;ie wieder Wochenlang ganz<lb/>
vernünftig. Ein&#x017F;t war &#x017F;ie &#x017F;ehr &#x017F;chön, aber der Kum-<lb/>
mer hat jeden Reiz von ihr abge&#x017F;treift.</p><lb/>
          <p>Merkwürdig war ein reicher und &#x017F;ehr gebildeter<lb/>
junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0123] ſchiedenen Stände in der Geſellſchaft, und ihre Zahl in London bekanntlich eben ſo groß, als die der ſämmtlichen Einwohner Berlins. Es iſt kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe, das ich dieſen Morgen beſuchte. Nirgends logiren die Narren beſſer, das heißt die eingeſperrten. Ein pleasure ground befindet ſich vor dem Thore des Palaſtes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßi- ger eingerichtet ſeyn als das Innere. Als ich in die erſte Weiber-Galerie, von einer ſehr hübſchen jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich eins der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre alt, lange aufmerkſam, und kam dann plötzlich auf mich zu, indem ſie ſagte: You are a foreigner — J. Know You Prince! Warum haben Sie Ihre Uni- form nicht angezogen, um mich zu beſuchen, fuhr ſie fort, das hätte ſich beſſer geſchickt. Ach wie ſchon ſah Charles unter der ſeinigen aus! Die arme Seele, ſagte die Schließerin, welche mein Befremden gewahr ward, iſt von einem fremden Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem Ausländer einen ſolchen zu ſehen. Manchmal weint ſie Tagelang, und läßt dann Niemanden ſich nahe kommen. Nachher iſt ſie wieder Wochenlang ganz vernünftig. Einſt war ſie ſehr ſchön, aber der Kum- mer hat jeden Reiz von ihr abgeſtreift. Merkwürdig war ein reicher und ſehr gebildeter junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/123
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/123>, abgerufen am 24.11.2024.