völlig neutralisirten, also nur die Proportion des Ganzen den eigentlichen Schlüssel zu dem Charakter des Menschen geben könne.
Als allgemeine Regel stellte er auf: daß Men- schen, bei deren Schädel -- wenn man sich eine ge- rade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des Ohres gezogen denkt -- der vordere Theil eine größere Masse, als der hintere darbiete, empfehlungswerther seyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen Eigenschaften, der hintere die thierischen enthalte.
Alle Schädel der Hingerichteten z. B., die er be- saß, zeugten für diese Lehre, und bei einem der Grau- samsten nahm der Hinterkopf 2/3 des ganzen Schä- dels ein. Auch bei den Büsten von Nero und Ca- racalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß.
Ist dieses jedoch im entgegengesetzten Extrem vorhanden, so fehlt es den zu intellektuellen Indivi- duen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie in allen Dingen, ist ein billiges Gleichgewicht das Wünschenswertheste.
Herr Deville behauptet, daß man nicht nur her- vorstechende günstige Organe durch Uebung der von ihnen bedingten Eigenschaften sehr vergrößern könne, sondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern, und versichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz ausgeschlossen sey. Er zeigte mir den Schädel eines Freundes, der sich noch im sechzigsten Jahre einem sehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete, und in wenigen Jahren dadurch die betreffende bosse
völlig neutraliſirten, alſo nur die Proportion des Ganzen den eigentlichen Schlüſſel zu dem Charakter des Menſchen geben könne.
Als allgemeine Regel ſtellte er auf: daß Men- ſchen, bei deren Schädel — wenn man ſich eine ge- rade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des Ohres gezogen denkt — der vordere Theil eine größere Maſſe, als der hintere darbiete, empfehlungswerther ſeyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen Eigenſchaften, der hintere die thieriſchen enthalte.
Alle Schädel der Hingerichteten z. B., die er be- ſaß, zeugten für dieſe Lehre, und bei einem der Grau- ſamſten nahm der Hinterkopf ⅔ des ganzen Schä- dels ein. Auch bei den Büſten von Nero und Ca- racalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß.
Iſt dieſes jedoch im entgegengeſetzten Extrem vorhanden, ſo fehlt es den zu intellektuellen Indivi- duen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie in allen Dingen, iſt ein billiges Gleichgewicht das Wünſchenswertheſte.
Herr Deville behauptet, daß man nicht nur her- vorſtechende günſtige Organe durch Uebung der von ihnen bedingten Eigenſchaften ſehr vergrößern könne, ſondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern, und verſichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz ausgeſchloſſen ſey. Er zeigte mir den Schädel eines Freundes, der ſich noch im ſechzigſten Jahre einem ſehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete, und in wenigen Jahren dadurch die betreffende bosse
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0102"n="86"/>
völlig neutraliſirten, alſo nur die <hirendition="#g">Proportion<lb/>
des Ganzen</hi> den eigentlichen Schlüſſel zu dem<lb/>
Charakter des Menſchen geben könne.</p><lb/><p>Als allgemeine Regel ſtellte er auf: daß Men-<lb/>ſchen, bei deren Schädel — wenn man ſich eine ge-<lb/>
rade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des<lb/>
Ohres gezogen denkt — der vordere Theil eine größere<lb/>
Maſſe, als der hintere darbiete, empfehlungswerther<lb/>ſeyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen<lb/>
Eigenſchaften, der hintere die thieriſchen enthalte.</p><lb/><p>Alle Schädel der Hingerichteten z. B., die er be-<lb/>ſaß, zeugten für dieſe Lehre, und bei einem der Grau-<lb/>ſamſten nahm der Hinterkopf ⅔ des ganzen Schä-<lb/>
dels ein. Auch bei den Büſten von Nero und Ca-<lb/>
racalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß.</p><lb/><p>Iſt dieſes jedoch im entgegengeſetzten Extrem<lb/>
vorhanden, ſo fehlt es den zu intellektuellen Indivi-<lb/>
duen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie<lb/>
in allen Dingen, iſt ein billiges Gleichgewicht das<lb/>
Wünſchenswertheſte.</p><lb/><p>Herr Deville behauptet, daß man nicht nur her-<lb/>
vorſtechende günſtige Organe durch Uebung der von<lb/>
ihnen bedingten Eigenſchaften ſehr vergrößern könne,<lb/>ſondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern,<lb/>
und verſichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz<lb/>
ausgeſchloſſen ſey. Er zeigte mir den Schädel eines<lb/>
Freundes, der ſich noch im ſechzigſten Jahre einem<lb/>ſehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete,<lb/>
und in wenigen Jahren dadurch die betreffende <hirendition="#aq">bosse</hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[86/0102]
völlig neutraliſirten, alſo nur die Proportion
des Ganzen den eigentlichen Schlüſſel zu dem
Charakter des Menſchen geben könne.
Als allgemeine Regel ſtellte er auf: daß Men-
ſchen, bei deren Schädel — wenn man ſich eine ge-
rade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des
Ohres gezogen denkt — der vordere Theil eine größere
Maſſe, als der hintere darbiete, empfehlungswerther
ſeyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen
Eigenſchaften, der hintere die thieriſchen enthalte.
Alle Schädel der Hingerichteten z. B., die er be-
ſaß, zeugten für dieſe Lehre, und bei einem der Grau-
ſamſten nahm der Hinterkopf ⅔ des ganzen Schä-
dels ein. Auch bei den Büſten von Nero und Ca-
racalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß.
Iſt dieſes jedoch im entgegengeſetzten Extrem
vorhanden, ſo fehlt es den zu intellektuellen Indivi-
duen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie
in allen Dingen, iſt ein billiges Gleichgewicht das
Wünſchenswertheſte.
Herr Deville behauptet, daß man nicht nur her-
vorſtechende günſtige Organe durch Uebung der von
ihnen bedingten Eigenſchaften ſehr vergrößern könne,
ſondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern,
und verſichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz
ausgeſchloſſen ſey. Er zeigte mir den Schädel eines
Freundes, der ſich noch im ſechzigſten Jahre einem
ſehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete,
und in wenigen Jahren dadurch die betreffende bosse
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/102>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.