Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch eine lange Reihe Landhäuser mit fortlaufenden Blu- menparterres, die auf beiden Seiten durch schmale Kanäle von der Straße getrennt sind. Zu jedem der- selben führt eine mächtige Zugbrücke, welche seltsam mit der Unbedeutendheit des Wassers contrastirt, denn ein herzhafter Sprung brächte zur Noth auch von einem Ufer auf's andere. Eben so barokk sind die thurmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie sind vielfach vergoldet und mit dem absonderlichsten Schnitzwerke versehen, bei manchen aber ausserdem die Mauern noch mit dichtem Rohre so fein bedeckt, daß es in der Entfernung Pelzwerk gleich sieht, an- dere bieten einen beschuppten Crokodillenleib dar, ei- nige gleichen chinesischen Glockenthürmen, alle zusam- men machen aber dennoch einen imponirenden Effekt. Dazwischen ragen die Maste des Hafens und die großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in de- nen die Kriegsschiffe gebaut werden, und kündigen die See- und Handelsstadt an.
Bald nahm mich eine lange von Menschen wim- melnde Straße auf, der ein hohes schwarzes Thurm- Zifferblatt mit feurig rosenrothen Zahlen und Wei- sern zum point de vaue diente, und ich brauchte wohl eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hotel des bains auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt sehr gut und bequem logirt bin. Vor meinen Fenstern über- sehe ich eine breite Wasserfläche mit den vier Dampf- schiffen, von denen eines mich übermorgen nach Eng- land bringen soll. Böte rudern emsig auf und ab,
Briefe eines Verstorbenen. III. 3
Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch eine lange Reihe Landhäuſer mit fortlaufenden Blu- menparterres, die auf beiden Seiten durch ſchmale Kanäle von der Straße getrennt ſind. Zu jedem der- ſelben führt eine mächtige Zugbrücke, welche ſeltſam mit der Unbedeutendheit des Waſſers contraſtirt, denn ein herzhafter Sprung brächte zur Noth auch von einem Ufer auf’s andere. Eben ſo barokk ſind die thurmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie ſind vielfach vergoldet und mit dem abſonderlichſten Schnitzwerke verſehen, bei manchen aber auſſerdem die Mauern noch mit dichtem Rohre ſo fein bedeckt, daß es in der Entfernung Pelzwerk gleich ſieht, an- dere bieten einen beſchuppten Crokodillenleib dar, ei- nige gleichen chineſiſchen Glockenthürmen, alle zuſam- men machen aber dennoch einen imponirenden Effekt. Dazwiſchen ragen die Maſte des Hafens und die großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in de- nen die Kriegsſchiffe gebaut werden, und kündigen die See- und Handelsſtadt an.
Bald nahm mich eine lange von Menſchen wim- melnde Straße auf, der ein hohes ſchwarzes Thurm- Zifferblatt mit feurig roſenrothen Zahlen und Wei- ſern zum point de vûe diente, und ich brauchte wohl eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hotel des bains auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt ſehr gut und bequem logirt bin. Vor meinen Fenſtern über- ſehe ich eine breite Waſſerfläche mit den vier Dampf- ſchiffen, von denen eines mich übermorgen nach Eng- land bringen ſoll. Böte rudern emſig auf und ab,
Briefe eines Verſtorbenen. III. 3
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Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch
eine lange Reihe Landhäuſer mit fortlaufenden Blu-
menparterres, die auf beiden Seiten durch ſchmale
Kanäle von der Straße getrennt ſind. Zu jedem der-
ſelben führt eine mächtige Zugbrücke, welche ſeltſam
mit der Unbedeutendheit des Waſſers contraſtirt,
denn ein herzhafter Sprung brächte zur Noth auch
von einem Ufer auf’s andere. Eben ſo barokk ſind
die thurmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie
ſind vielfach vergoldet und mit dem abſonderlichſten
Schnitzwerke verſehen, bei manchen aber auſſerdem
die Mauern noch mit dichtem Rohre ſo fein bedeckt,
daß es in der Entfernung Pelzwerk gleich ſieht, an-
dere bieten einen beſchuppten Crokodillenleib dar, ei-
nige gleichen chineſiſchen Glockenthürmen, alle zuſam-
men machen aber dennoch einen imponirenden Effekt.
Dazwiſchen ragen die Maſte des Hafens und die
großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in de-
nen die Kriegsſchiffe gebaut werden, und kündigen
die See- und Handelsſtadt an.
Bald nahm mich eine lange von Menſchen wim-
melnde Straße auf, der ein hohes ſchwarzes Thurm-
Zifferblatt mit feurig roſenrothen Zahlen und Wei-
ſern zum point de vûe diente, und ich brauchte wohl
eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hotel des
bains auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt ſehr gut
und bequem logirt bin. Vor meinen Fenſtern über-
ſehe ich eine breite Waſſerfläche mit den vier Dampf-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/73>, abgerufen am 22.11.2024.
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