der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit nachsteht.
Wer Gouda gesehen hat, kann sich die Reise nach dem schiefen Thurme zu Pisa ersparen, denn hier scheint die halbe Stadt nach diesem Prinzip aufge- führt worden zu seyn. Obgleich den Holländern, die man in mancher Rücksicht nicht unpassend die Chine- sen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen wäre, absichtlich für ihre Häuser eine so seltsame Bauart gewählt zu haben, so rührt dieses, fast Schrecken erregende Schiefsteben der hiesigen Gebäude doch wahrscheinlich größtentheils nur von dem unsi- chern morastigen Grunde her *). Fast alle Häuser stehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und jeder derselben ist verschieden ausgeschmückt. In sehr engen Gassen sieht man sie sich fast erreichen und ein Dreyeck bilden, unter dem man nicht ohne Be- sorgniß hingeht.
Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchst belebt, wiewohl nur durch stillen und decenten Ju- bel. Die meisten Menschen standen müßig, gafften, zogen aber sehr höflich den Hut vor meinem Wa- gen ab.
*) Ich erinnere mich von einem griechischen Kloster in der Wallachey gelesen zu haben, dessen vier Thürme jeden Au- genblick einfallen zu wollen scheinen Dennoch ist diese op- tische Täuschung nur dadurch hervorgebracht, daß sowohl die Richtung der Fenster, als mehrere rund umherlaufende Banden schief gestellt sind.
der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit nachſteht.
Wer Gouda geſehen hat, kann ſich die Reiſe nach dem ſchiefen Thurme zu Piſa erſparen, denn hier ſcheint die halbe Stadt nach dieſem Prinzip aufge- führt worden zu ſeyn. Obgleich den Holländern, die man in mancher Rückſicht nicht unpaſſend die Chine- ſen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen wäre, abſichtlich für ihre Häuſer eine ſo ſeltſame Bauart gewählt zu haben, ſo rührt dieſes, faſt Schrecken erregende Schiefſteben der hieſigen Gebäude doch wahrſcheinlich größtentheils nur von dem unſi- chern moraſtigen Grunde her *). Faſt alle Häuſer ſtehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und jeder derſelben iſt verſchieden ausgeſchmückt. In ſehr engen Gaſſen ſieht man ſie ſich faſt erreichen und ein Dreyeck bilden, unter dem man nicht ohne Be- ſorgniß hingeht.
Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchſt belebt, wiewohl nur durch ſtillen und decenten Ju- bel. Die meiſten Menſchen ſtanden müßig, gafften, zogen aber ſehr höflich den Hut vor meinem Wa- gen ab.
*) Ich erinnere mich von einem griechiſchen Kloſter in der Wallachey geleſen zu haben, deſſen vier Thuͤrme jeden Au- genblick einfallen zu wollen ſcheinen Dennoch iſt dieſe op- tiſche Taͤuſchung nur dadurch hervorgebracht, daß ſowohl die Richtung der Fenſter, als mehrere rund umherlaufende Banden ſchief geſtellt ſind.
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der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit
nachſteht.
Wer Gouda geſehen hat, kann ſich die Reiſe nach
dem ſchiefen Thurme zu Piſa erſparen, denn hier
ſcheint die halbe Stadt nach dieſem Prinzip aufge-
führt worden zu ſeyn. Obgleich den Holländern, die
man in mancher Rückſicht nicht unpaſſend die Chine-
ſen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen
wäre, abſichtlich für ihre Häuſer eine ſo ſeltſame
Bauart gewählt zu haben, ſo rührt dieſes, faſt
Schrecken erregende Schiefſteben der hieſigen Gebäude
doch wahrſcheinlich größtentheils nur von dem unſi-
chern moraſtigen Grunde her *). Faſt alle Häuſer
ſtehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und
jeder derſelben iſt verſchieden ausgeſchmückt. In ſehr
engen Gaſſen ſieht man ſie ſich faſt erreichen und
ein Dreyeck bilden, unter dem man nicht ohne Be-
ſorgniß hingeht.
Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchſt
belebt, wiewohl nur durch ſtillen und decenten Ju-
bel. Die meiſten Menſchen ſtanden müßig, gafften,
zogen aber ſehr höflich den Hut vor meinem Wa-
gen ab.
*) Ich erinnere mich von einem griechiſchen Kloſter in der
Wallachey geleſen zu haben, deſſen vier Thuͤrme jeden Au-
genblick einfallen zu wollen ſcheinen Dennoch iſt dieſe op-
tiſche Taͤuſchung nur dadurch hervorgebracht, daß ſowohl
die Richtung der Fenſter, als mehrere rund umherlaufende
Banden ſchief geſtellt ſind.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/72>, abgerufen am 16.02.2025.
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