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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken)
mit dem geringsten Embarras und Zeitverlust zu ver-
binden zu wissen. Diese Aufgabe habe ich besonders
dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden ein-
packte, glaubte man ein Waarenlager in meinen
Stuben zu sehen. Jetzt ist Alles in den vielfachen
Behältnissen des Wagens verschwunden, ohne diesem
dennoch ein schweres überladenes Ansehen zu geben,
das unsre Postillone so leicht erschreckt, und den Gast-
wirthen einen auf der großen Tour Begriffenen an-
zeigt. Jede Sache ist bei der Hand, und dennoch
wohl gesondert, so daß, im Nachtquartier angekom-
men, in wenigen Minuten das "häusliche Verhält-
niß" in dem fremden Orte schon wieder hergestellt ist.
Unterwegs aber geben mir die hellen Krystallfenster
vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock
verbaut, eben so freie Aussicht als eine offene Kale-
sche, und lassen mich zugleich Herr der Temperatur,
die ich wünsche. Die Leute auf ihrem, hinter dem
Wagen befindlichen hohen Sitze, übersehen von dort
alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere
neugierige Blicke werfen, noch eine Conversation da-
selbst überhören zu können, wenn ja, im Lande der
Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staats-
geheimnisse darin verhandelt werden sollten. -- Ich
könnte ein Collegium über dieses Kapitel lesen, das
dem Reisenden gar nicht unwichtig ist, bin aber hier
nur deshalb so weitläufig geworden, um Dir ein
vollständiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt
durchziehend, Dir denken sollst, und das nomadische

gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken)
mit dem geringſten Embarras und Zeitverluſt zu ver-
binden zu wiſſen. Dieſe Aufgabe habe ich beſonders
dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden ein-
packte, glaubte man ein Waarenlager in meinen
Stuben zu ſehen. Jetzt iſt Alles in den vielfachen
Behältniſſen des Wagens verſchwunden, ohne dieſem
dennoch ein ſchweres überladenes Anſehen zu geben,
das unſre Poſtillone ſo leicht erſchreckt, und den Gaſt-
wirthen einen auf der großen Tour Begriffenen an-
zeigt. Jede Sache iſt bei der Hand, und dennoch
wohl geſondert, ſo daß, im Nachtquartier angekom-
men, in wenigen Minuten das „häusliche Verhält-
niß“ in dem fremden Orte ſchon wieder hergeſtellt iſt.
Unterwegs aber geben mir die hellen Kryſtallfenſter
vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock
verbaut, eben ſo freie Ausſicht als eine offene Kale-
ſche, und laſſen mich zugleich Herr der Temperatur,
die ich wünſche. Die Leute auf ihrem, hinter dem
Wagen befindlichen hohen Sitze, überſehen von dort
alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere
neugierige Blicke werfen, noch eine Converſation da-
ſelbſt überhören zu können, wenn ja, im Lande der
Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staats-
geheimniſſe darin verhandelt werden ſollten. — Ich
könnte ein Collegium über dieſes Kapitel leſen, das
dem Reiſenden gar nicht unwichtig iſt, bin aber hier
nur deshalb ſo weitläufig geworden, um Dir ein
vollſtändiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt
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[6/0046] gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken) mit dem geringſten Embarras und Zeitverluſt zu ver- binden zu wiſſen. Dieſe Aufgabe habe ich beſonders dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden ein- packte, glaubte man ein Waarenlager in meinen Stuben zu ſehen. Jetzt iſt Alles in den vielfachen Behältniſſen des Wagens verſchwunden, ohne dieſem dennoch ein ſchweres überladenes Anſehen zu geben, das unſre Poſtillone ſo leicht erſchreckt, und den Gaſt- wirthen einen auf der großen Tour Begriffenen an- zeigt. Jede Sache iſt bei der Hand, und dennoch wohl geſondert, ſo daß, im Nachtquartier angekom- men, in wenigen Minuten das „häusliche Verhält- niß“ in dem fremden Orte ſchon wieder hergeſtellt iſt. Unterwegs aber geben mir die hellen Kryſtallfenſter vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock verbaut, eben ſo freie Ausſicht als eine offene Kale- ſche, und laſſen mich zugleich Herr der Temperatur, die ich wünſche. Die Leute auf ihrem, hinter dem Wagen befindlichen hohen Sitze, überſehen von dort alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere neugierige Blicke werfen, noch eine Converſation da- ſelbſt überhören zu können, wenn ja, im Lande der Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staats- geheimniſſe darin verhandelt werden ſollten. — Ich könnte ein Collegium über dieſes Kapitel leſen, das dem Reiſenden gar nicht unwichtig iſt, bin aber hier nur deshalb ſo weitläufig geworden, um Dir ein vollſtändiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt durchziehend, Dir denken ſollſt, und das nomadiſche

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/46>, abgerufen am 21.11.2024.