Sie wird jetzt von den Arabern wie eine Prophe- tin verehrt, und lebt mit allem Ansehen und der Pracht einer eingebornen Fürstin, erlaubt aber Euro- päern nur sehr selten den Zutritt.
Mit vieler Mühe und durch besondere Intriguen, gelang es endlich Capt. P .... vor sie zu kommen. Das Erste was sie mit ihm sprach, war die Auffor- derung: sein Ehrenwort zu geben, daß er nie etwas über sie schreiben wolle. Sobald dieser Eid geleistet war (zu dem ich Gottlob nicht verpflichtet wurde), ward sie sehr heiter und gesprächig, und zeigte sich eben so unbefangen als geistreich. Sie machte kein Geheimniß daraus, daß sie dem christlichen Glauben entsagt habe, vertraute ihm aber zugleich, daß sie den wahren Sohn Gottes erst erwarte, dem sie selbst den Weg zu bahnen bestimmt sey. Hierauf zeigte sie dem Capitain eine prachtvolle arabische Stute vom edelsten Blut, die einen so seltsamen Knochenauswuchs auf dem Rücken hatte, daß dadurch die ganz ähnliche Figur eines Sattels gebildet wurde. "Dieses Pferd," sagte sie, mit einer Miene, von der Capt. P .... be- hauptete, noch jetzt nicht zu wissen, ob sie Tollheit oder die Lust ihn zum Besten zu haben verrathen, "dieses Pferd hat Gott selbst für seinen Sohn ge- sattelt, und wehe dem Menschen, dessen Fuß es zu be- steigen wagte! Unter meiner Obhut aber erwartet es seinen ächten Herrn."
Im Verlauf des Gesprächs versicherte sie ihm noch en passant, daß Adam noch immer lebe, sie wisse auch
Sie wird jetzt von den Arabern wie eine Prophe- tin verehrt, und lebt mit allem Anſehen und der Pracht einer eingebornen Fürſtin, erlaubt aber Euro- päern nur ſehr ſelten den Zutritt.
Mit vieler Mühe und durch beſondere Intriguen, gelang es endlich Capt. P .... vor ſie zu kommen. Das Erſte was ſie mit ihm ſprach, war die Auffor- derung: ſein Ehrenwort zu geben, daß er nie etwas über ſie ſchreiben wolle. Sobald dieſer Eid geleiſtet war (zu dem ich Gottlob nicht verpflichtet wurde), ward ſie ſehr heiter und geſprächig, und zeigte ſich eben ſo unbefangen als geiſtreich. Sie machte kein Geheimniß daraus, daß ſie dem chriſtlichen Glauben entſagt habe, vertraute ihm aber zugleich, daß ſie den wahren Sohn Gottes erſt erwarte, dem ſie ſelbſt den Weg zu bahnen beſtimmt ſey. Hierauf zeigte ſie dem Capitain eine prachtvolle arabiſche Stute vom edelſten Blut, die einen ſo ſeltſamen Knochenauswuchs auf dem Rücken hatte, daß dadurch die ganz ähnliche Figur eines Sattels gebildet wurde. „Dieſes Pferd,“ ſagte ſie, mit einer Miene, von der Capt. P .... be- hauptete, noch jetzt nicht zu wiſſen, ob ſie Tollheit oder die Luſt ihn zum Beſten zu haben verrathen, „dieſes Pferd hat Gott ſelbſt für ſeinen Sohn ge- ſattelt, und wehe dem Menſchen, deſſen Fuß es zu be- ſteigen wagte! Unter meiner Obhut aber erwartet es ſeinen ächten Herrn.“
Im Verlauf des Geſprächs verſicherte ſie ihm noch en passant, daß Adam noch immer lebe, ſie wiſſe auch
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Sie wird jetzt von den Arabern wie eine Prophe-
tin verehrt, und lebt mit allem Anſehen und der
Pracht einer eingebornen Fürſtin, erlaubt aber Euro-
päern nur ſehr ſelten den Zutritt.
Mit vieler Mühe und durch beſondere Intriguen,
gelang es endlich Capt. P .... vor ſie zu kommen.
Das Erſte was ſie mit ihm ſprach, war die Auffor-
derung: ſein Ehrenwort zu geben, daß er nie etwas
über ſie ſchreiben wolle. Sobald dieſer Eid geleiſtet
war (zu dem ich Gottlob nicht verpflichtet wurde),
ward ſie ſehr heiter und geſprächig, und zeigte ſich
eben ſo unbefangen als geiſtreich. Sie machte kein
Geheimniß daraus, daß ſie dem chriſtlichen Glauben
entſagt habe, vertraute ihm aber zugleich, daß ſie den
wahren Sohn Gottes erſt erwarte, dem ſie ſelbſt
den Weg zu bahnen beſtimmt ſey. Hierauf zeigte ſie
dem Capitain eine prachtvolle arabiſche Stute vom
edelſten Blut, die einen ſo ſeltſamen Knochenauswuchs
auf dem Rücken hatte, daß dadurch die ganz ähnliche
Figur eines Sattels gebildet wurde. „Dieſes Pferd,“
ſagte ſie, mit einer Miene, von der Capt. P .... be-
hauptete, noch jetzt nicht zu wiſſen, ob ſie Tollheit
oder die Luſt ihn zum Beſten zu haben verrathen,
„dieſes Pferd hat Gott ſelbſt für ſeinen Sohn ge-
ſattelt, und wehe dem Menſchen, deſſen Fuß es zu be-
ſteigen wagte! Unter meiner Obhut aber erwartet es
ſeinen ächten Herrn.“
Im Verlauf des Geſprächs verſicherte ſie ihm noch
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/455>, abgerufen am 21.11.2024.
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