voye extraordinaire und der Diplomate a la four- chette sind vortrefflich geschildert, eben so wie der glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des Letzteren Succeß. Es ist gewiß, daß es eine Art Beschränktheit giebt, die fast immer in der Welt reüssirt, und eine Art Verstand, die nie reüssirt. Die- ser letzte ist unter andern auch der meinige, ein phan- tastischer, Bilder machender, der sich seine Traumwelt alle Tage selbst neu gestaltet, und daher in der wirk- lichen stets ein Fremder bleibt. Du meinst, wenn das Glück sich mir dargeboten, hätte ich es stets ge- ring geachtet, und höchstens spielend bei den Fingern genommen, statt es ernstlich fest zu halten. Nie hätte ich die Gegenwart eher geschätzt, bis sie in ferner Weite als Bild wieder dastehe -- dann würde es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der Sehnsucht und die Gegenwart nie etwas anders als ein Nebelflecken! A merveille. Du führst das al- lerliebst aus, und Niemand, ich muß es gestehen, versteht besser, eindringlich zu moralisiren, als Du. Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber sage, wenn Du nun auch den Lahmen felsenfest überzeug- test, daß es weit besser für ihn sey, nicht lahm zu gehen, -- so wie er ein Bein vor das andere setzt, hinkt der Aermste doch nach wie vor! Naturam ex- pellas furca etc. Umsonst gebietest Du Deinem Magen, besser zu verdauen, Deinem Witze, schärfer zu seyn, Deiner Vernunft, sich geltender zu machen. Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen bis zum Tode.
voyé extraordinaire und der Diplomate à la four- chette ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die- ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan- taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk- lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge- ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al- lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen, verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du. Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage, wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug- teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu gehen, — ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt, hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex- pellas furca etc. Umſonſt gebieteſt Du Deinem Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen. Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen bis zum Tode.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0423"n="377"/>
voyé extraordinaire</hi> und der <hirendition="#aq">Diplomate à la four-<lb/>
chette</hi>ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der<lb/>
glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei<lb/>
Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des<lb/>
Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art<lb/>
Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt<lb/>
reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die-<lb/>ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan-<lb/>
taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt<lb/>
alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk-<lb/>
lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn<lb/>
das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge-<lb/>
ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern<lb/>
genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie<lb/>
hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in<lb/>
ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde<lb/>
es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der<lb/>
Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als<lb/>
ein Nebelflecken! <hirendition="#aq">A merveille.</hi> Du führſt das al-<lb/>
lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen,<lb/>
verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du.<lb/>
Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage,<lb/>
wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug-<lb/>
teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu<lb/>
gehen, —ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt,<lb/>
hinkt der Aermſte doch nach wie vor! <hirendition="#aq">Naturam ex-<lb/>
pellas furca etc.</hi> Umſonſt gebieteſt Du Deinem<lb/>
Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer<lb/>
zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen.<lb/>
Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen<lb/>
bis zum Tode.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[377/0423]
voyé extraordinaire und der Diplomate à la four-
chette ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der
glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei
Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des
Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art
Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt
reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die-
ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan-
taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt
alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk-
lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn
das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge-
ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern
genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie
hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in
ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde
es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der
Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als
ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al-
lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen,
verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du.
Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage,
wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug-
teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu
gehen, — ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt,
hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex-
pellas furca etc. Umſonſt gebieteſt Du Deinem
Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer
zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen.
Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen
bis zum Tode.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/423>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.