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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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voye extraordinaire und der Diplomate a la four-
chette
sind vortrefflich geschildert, eben so wie der
glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei
Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des
Letzteren Succeß. Es ist gewiß, daß es eine Art
Beschränktheit giebt, die fast immer in der Welt
reüssirt, und eine Art Verstand, die nie reüssirt. Die-
ser letzte ist unter andern auch der meinige, ein phan-
tastischer, Bilder machender, der sich seine Traumwelt
alle Tage selbst neu gestaltet, und daher in der wirk-
lichen stets ein Fremder bleibt. Du meinst, wenn
das Glück sich mir dargeboten, hätte ich es stets ge-
ring geachtet, und höchstens spielend bei den Fingern
genommen, statt es ernstlich fest zu halten. Nie
hätte ich die Gegenwart eher geschätzt, bis sie in
ferner Weite als Bild wieder dastehe -- dann würde
es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der
Sehnsucht und die Gegenwart nie etwas anders als
ein Nebelflecken! A merveille. Du führst das al-
lerliebst aus, und Niemand, ich muß es gestehen,
versteht besser, eindringlich zu moralisiren, als Du.
Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber sage,
wenn Du nun auch den Lahmen felsenfest überzeug-
test, daß es weit besser für ihn sey, nicht lahm zu
gehen, -- so wie er ein Bein vor das andere setzt,
hinkt der Aermste doch nach wie vor! Naturam ex-
pellas furca etc.
Umsonst gebietest Du Deinem
Magen, besser zu verdauen, Deinem Witze, schärfer
zu seyn, Deiner Vernunft, sich geltender zu machen.
Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen
bis zum Tode.

voyé extraordinaire und der Diplomate à la four-
chette
ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der
glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei
Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des
Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art
Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt
reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die-
ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan-
taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt
alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk-
lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn
das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge-
ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern
genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie
hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in
ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde
es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der
Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als
ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al-
lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen,
verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du.
Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage,
wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug-
teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu
gehen, — ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt,
hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex-
pellas furca etc.
Umſonſt gebieteſt Du Deinem
Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer
zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen.
Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen
bis zum Tode.

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[377/0423] voyé extraordinaire und der Diplomate à la four- chette ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die- ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan- taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk- lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge- ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al- lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen, verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du. Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage, wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug- teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu gehen, — ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt, hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex- pellas furca etc. Umſonſt gebieteſt Du Deinem Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen. Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen bis zum Tode.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/423>, abgerufen am 24.11.2024.