Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehülflich auf seinen Sopha ausgestreckt, und erzählte, oft von Seufzern, die der Schmerz erpreßte, unterbrochen, von den lustigen Streichen seiner Jugend, während der arme Thor, den er damals als Geist so sehr erschreckte, längst schon selbst ein Geist geworden ist, und ihm gewiß keinen geringen Schreck einflößen würde, wenn es ihm einfiele, die Visite nachträglich noch zu er- wiedern.
O Welt, o Welt! wie Napoleon sagte *).
Den 3ten Abends.
Lord D. besitzt eine sehr reiche Gemäldegallerie, worunter eine berühmte Venus von Titian, der Tod des Regulus von Salvator Rosa, ein großes, mehr- mals in Kupfer gestochenes Gemälde von Rubens, und ein herrlicher Guido die vorzüglichsten sind. Auf den beiden letzten Bildern spielt zwar eben kein an-
*) Diesen Ausruf muß ich erklären. Als Napoleon nach der Defaite bei Aspern, in dieser sehr bedenklichen Lage auf ge- brechlichem Kahne nach der Insel Lobau mit wenigen Be- gleitern zurückschiffte, befand sich der damals noch sehr junge General Tschernitscheff bei ihm. Nach dessen Erzählung saß der Kaiser tief in sich versunken, redete mit Niemand, und brach nur zuweilen in die halb laut gesprochenen Worte aus: "O monde, o monde!" Er mochte wohl hinzuden- ken: tu m'echappes -- wie es einige Jahre später wirklich eintraf. A. d. H.
Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehülflich auf ſeinen Sopha ausgeſtreckt, und erzählte, oft von Seufzern, die der Schmerz erpreßte, unterbrochen, von den luſtigen Streichen ſeiner Jugend, während der arme Thor, den er damals als Geiſt ſo ſehr erſchreckte, längſt ſchon ſelbſt ein Geiſt geworden iſt, und ihm gewiß keinen geringen Schreck einflößen würde, wenn es ihm einfiele, die Viſite nachträglich noch zu er- wiedern.
O Welt, o Welt! wie Napoleon ſagte *).
Den 3ten Abends.
Lord D. beſitzt eine ſehr reiche Gemäldegallerie, worunter eine berühmte Venus von Titian, der Tod des Regulus von Salvator Roſa, ein großes, mehr- mals in Kupfer geſtochenes Gemälde von Rubens, und ein herrlicher Guido die vorzüglichſten ſind. Auf den beiden letzten Bildern ſpielt zwar eben kein an-
*) Dieſen Ausruf muß ich erklaͤren. Als Napoleon nach der Defaite bei Aspern, in dieſer ſehr bedenklichen Lage auf ge- brechlichem Kahne nach der Inſel Lobau mit wenigen Be- gleitern zuruͤckſchiffte, befand ſich der damals noch ſehr junge General Tſchernitſcheff bei ihm. Nach deſſen Erzaͤhlung ſaß der Kaiſer tief in ſich verſunken, redete mit Niemand, und brach nur zuweilen in die halb laut geſprochenen Worte aus: „O monde, o monde!“ Er mochte wohl hinzuden- ken: tu m’echappes — wie es einige Jahre ſpaͤter wirklich eintraf. A. d. H.
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Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehülflich
auf ſeinen Sopha ausgeſtreckt, und erzählte, oft von
Seufzern, die der Schmerz erpreßte, unterbrochen, von
den luſtigen Streichen ſeiner Jugend, während der
arme Thor, den er damals als Geiſt ſo ſehr erſchreckte,
längſt ſchon ſelbſt ein Geiſt geworden iſt, und ihm
gewiß keinen geringen Schreck einflößen würde, wenn
es ihm einfiele, die Viſite nachträglich noch zu er-
wiedern.
O Welt, o Welt! wie Napoleon ſagte *).
Den 3ten Abends.
Lord D. beſitzt eine ſehr reiche Gemäldegallerie,
worunter eine berühmte Venus von Titian, der Tod
des Regulus von Salvator Roſa, ein großes, mehr-
mals in Kupfer geſtochenes Gemälde von Rubens,
und ein herrlicher Guido die vorzüglichſten ſind. Auf
den beiden letzten Bildern ſpielt zwar eben kein an-
*) Dieſen Ausruf muß ich erklaͤren. Als Napoleon nach der
Defaite bei Aspern, in dieſer ſehr bedenklichen Lage auf ge-
brechlichem Kahne nach der Inſel Lobau mit wenigen Be-
gleitern zuruͤckſchiffte, befand ſich der damals noch ſehr junge
General Tſchernitſcheff bei ihm. Nach deſſen Erzaͤhlung ſaß
der Kaiſer tief in ſich verſunken, redete mit Niemand, und
brach nur zuweilen in die halb laut geſprochenen Worte
aus: „O monde, o monde!“ Er mochte wohl hinzuden-
ken: tu m’echappes — wie es einige Jahre ſpaͤter wirklich
eintraf. A. d. H.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/384>, abgerufen am 23.02.2025.
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