Ich will nur einige erläuternde Beispiele anführen: Wer mit einem sanften Gemüth, in Gottesfurcht und Menschenliebe erzogen, Soldat geworden ist, wird schwerlich, wenn er zum Erstenmal kaltblütig sich ein Menschenleben zum Ziel nehmen muß, dieß ohne eine merkliche Regung seines Gewissens thun können. We- nigstens gieng es mir so. Dennoch ist es seine Pflicht, eine Pflicht, die sich aus höheren, wenn gleich weltli- chen, Gesichtspunkten auch sehr gut rechtfertigen läßt, wenigstens so lange die Menschheit noch nicht weiter ist, als jetzt.
Eben so wird der, welcher die Religion seiner Vä- ter, die ihm täglich gepredigte Lehre seiner Jugend, nach langem Kampf und aus reiner Ueberzeugung, daß eine andere besser sey, abschwört und diese annimmt, doch gar oft eine leise, nur mühsam zu bezwingende Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade wie mit der abgeschmacktesten Gespensterfurcht bei Solchen, denen man früher den Gespenster glauben eingeprägt! Sie haben ein Gespenstergewissen, das sie nicht los werden können. Ja noch mehr: bei reiz- baren Charakteren wird die bloße Ueberzeugung, daß Andere uns einer Uebelthat schuldig halten, hinläng-
geben, der behaupten darf, daß sie nicht dennoch unter mög- lichen Umständen unerläßlich sey, denn wenn wir z. B. auf der einen Seite durch eine Nothlüge immer unsrer morali- schen Würde etwas Bedeutendes vergeben müssen, so könn- ten wir doch bei ihrer Unterlassung den niederträchtigsten Verrath an Aeltern und Freunden begehen. A. d. H.
Ich will nur einige erläuternde Beiſpiele anführen: Wer mit einem ſanften Gemüth, in Gottesfurcht und Menſchenliebe erzogen, Soldat geworden iſt, wird ſchwerlich, wenn er zum Erſtenmal kaltblütig ſich ein Menſchenleben zum Ziel nehmen muß, dieß ohne eine merkliche Regung ſeines Gewiſſens thun können. We- nigſtens gieng es mir ſo. Dennoch iſt es ſeine Pflicht, eine Pflicht, die ſich aus höheren, wenn gleich weltli- chen, Geſichtspunkten auch ſehr gut rechtfertigen läßt, wenigſtens ſo lange die Menſchheit noch nicht weiter iſt, als jetzt.
Eben ſo wird der, welcher die Religion ſeiner Vä- ter, die ihm täglich gepredigte Lehre ſeiner Jugend, nach langem Kampf und aus reiner Ueberzeugung, daß eine andere beſſer ſey, abſchwört und dieſe annimmt, doch gar oft eine leiſe, nur mühſam zu bezwingende Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade wie mit der abgeſchmackteſten Geſpenſterfurcht bei Solchen, denen man früher den Geſpenſter glauben eingeprägt! Sie haben ein Geſpenſtergewiſſen, das ſie nicht los werden können. Ja noch mehr: bei reiz- baren Charakteren wird die bloße Ueberzeugung, daß Andere uns einer Uebelthat ſchuldig halten, hinläng-
geben, der behaupten darf, daß ſie nicht dennoch unter moͤg- lichen Umſtaͤnden unerlaͤßlich ſey, denn wenn wir z. B. auf der einen Seite durch eine Nothluͤge immer unſrer morali- ſchen Wuͤrde etwas Bedeutendes vergeben muͤſſen, ſo koͤnn- ten wir doch bei ihrer Unterlaſſung den niedertraͤchtigſten Verrath an Aeltern und Freunden begehen. A. d. H.
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Ich will nur einige erläuternde Beiſpiele anführen:
Wer mit einem ſanften Gemüth, in Gottesfurcht und
Menſchenliebe erzogen, Soldat geworden iſt, wird
ſchwerlich, wenn er zum Erſtenmal kaltblütig ſich ein
Menſchenleben zum Ziel nehmen muß, dieß ohne eine
merkliche Regung ſeines Gewiſſens thun können. We-
nigſtens gieng es mir ſo. Dennoch iſt es ſeine Pflicht,
eine Pflicht, die ſich aus höheren, wenn gleich weltli-
chen, Geſichtspunkten auch ſehr gut rechtfertigen läßt,
wenigſtens ſo lange die Menſchheit noch nicht weiter
iſt, als jetzt.
Eben ſo wird der, welcher die Religion ſeiner Vä-
ter, die ihm täglich gepredigte Lehre ſeiner Jugend,
nach langem Kampf und aus reiner Ueberzeugung, daß
eine andere beſſer ſey, abſchwört und dieſe annimmt,
doch gar oft eine leiſe, nur mühſam zu bezwingende
Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade
wie mit der abgeſchmackteſten Geſpenſterfurcht bei
Solchen, denen man früher den Geſpenſter glauben
eingeprägt! Sie haben ein Geſpenſtergewiſſen, das
ſie nicht los werden können. Ja noch mehr: bei reiz-
baren Charakteren wird die bloße Ueberzeugung, daß
Andere uns einer Uebelthat ſchuldig halten, hinläng-
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*) geben, der behaupten darf, daß ſie nicht dennoch unter moͤg-
lichen Umſtaͤnden unerlaͤßlich ſey, denn wenn wir z. B. auf
der einen Seite durch eine Nothluͤge immer unſrer morali-
ſchen Wuͤrde etwas Bedeutendes vergeben muͤſſen, ſo koͤnn-
ten wir doch bei ihrer Unterlaſſung den niedertraͤchtigſten
Verrath an Aeltern und Freunden begehen. A. d. H.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/373>, abgerufen am 16.02.2025.
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