Kemble gab mir heute wieder, im Falstaff, einen großen Genuß. Gewiß ist es, daß auch der größte dramatische Dichter des Schauspielers bedarf, um sein Werk zu vervollständigen. Ich habe die Natur des berüchtigten Ritters nie so vollkommen verstan- den, und nie ist mir auch so anschaulich geworden, wie sein äusseres Benehmen seyn müsse, als seit ich ihn durch Kemble gleichsam wieder neugeboren sah. Sein Anzug und Maske sind zwar auffallend, aber keineswegs eine solche Carrikatur, wie auf unsern deutschen Theatern, noch weniger darin der Ausdruck eines Menschen ohne Stand und Erziehung, eines bloßen Farceur sichtbar, wie ihn z. B. Devrient in Berlin darstellt. Falstaff, obgleich von gemeiner Seele, ist doch durch Gewohnheit wie Neigung ein sehr geübter Hofmann, und das Rohr, was er oft in Gesellschaft des Prinzen zur Schau trägt, ist wenigstens eben so sehr ein absichtliches Spiel, das er benutzt, um den Prinzen zu amüsiren (denn Prin- zen lieben, eben wegen der düstern Höhe ihrer Stel- lung, sehr oft das Gemeine, schon des Contrastes wegen) als seiner eignen Laune genug zu thun. Hier nüancirt nun Kemble den Charakter besonders fein, denn obwohl er in allen diesen verschiedenen Lagen die natürliche, unbesiegbare Lustigkeit, die witzige Geistesgegenwart und die ergötzliche Drolligkeit beibe- hält, die Falstaff als Gesellschafter so angenehm, ja
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Den 3ten.
Kemble gab mir heute wieder, im Falſtaff, einen großen Genuß. Gewiß iſt es, daß auch der größte dramatiſche Dichter des Schauſpielers bedarf, um ſein Werk zu vervollſtändigen. Ich habe die Natur des berüchtigten Ritters nie ſo vollkommen verſtan- den, und nie iſt mir auch ſo anſchaulich geworden, wie ſein äuſſeres Benehmen ſeyn müſſe, als ſeit ich ihn durch Kemble gleichſam wieder neugeboren ſah. Sein Anzug und Maske ſind zwar auffallend, aber keineswegs eine ſolche Carrikatur, wie auf unſern deutſchen Theatern, noch weniger darin der Ausdruck eines Menſchen ohne Stand und Erziehung, eines bloßen Farceur ſichtbar, wie ihn z. B. Devrient in Berlin darſtellt. Falſtaff, obgleich von gemeiner Seele, iſt doch durch Gewohnheit wie Neigung ein ſehr geübter Hofmann, und das Rohr, was er oft in Geſellſchaft des Prinzen zur Schau trägt, iſt wenigſtens eben ſo ſehr ein abſichtliches Spiel, das er benutzt, um den Prinzen zu amüſiren (denn Prin- zen lieben, eben wegen der düſtern Höhe ihrer Stel- lung, ſehr oft das Gemeine, ſchon des Contraſtes wegen) als ſeiner eignen Laune genug zu thun. Hier nüancirt nun Kemble den Charakter beſonders fein, denn obwohl er in allen dieſen verſchiedenen Lagen die natürliche, unbeſiegbare Luſtigkeit, die witzige Geiſtesgegenwart und die ergötzliche Drolligkeit beibe- hält, die Falſtaff als Geſellſchafter ſo angenehm, ja
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Den 3ten.
Kemble gab mir heute wieder, im Falſtaff, einen
großen Genuß. Gewiß iſt es, daß auch der größte
dramatiſche Dichter des Schauſpielers bedarf, um
ſein Werk zu vervollſtändigen. Ich habe die Natur
des berüchtigten Ritters nie ſo vollkommen verſtan-
den, und nie iſt mir auch ſo anſchaulich geworden,
wie ſein äuſſeres Benehmen ſeyn müſſe, als ſeit ich
ihn durch Kemble gleichſam wieder neugeboren ſah.
Sein Anzug und Maske ſind zwar auffallend, aber
keineswegs eine ſolche Carrikatur, wie auf unſern
deutſchen Theatern, noch weniger darin der Ausdruck
eines Menſchen ohne Stand und Erziehung, eines
bloßen Farceur ſichtbar, wie ihn z. B. Devrient in
Berlin darſtellt. Falſtaff, obgleich von gemeiner
Seele, iſt doch durch Gewohnheit wie Neigung
ein ſehr geübter Hofmann, und das Rohr, was er
oft in Geſellſchaft des Prinzen zur Schau trägt, iſt
wenigſtens eben ſo ſehr ein abſichtliches Spiel, das
er benutzt, um den Prinzen zu amüſiren (denn Prin-
zen lieben, eben wegen der düſtern Höhe ihrer Stel-
lung, ſehr oft das Gemeine, ſchon des Contraſtes
wegen) als ſeiner eignen Laune genug zu thun. Hier
nüancirt nun Kemble den Charakter beſonders fein,
denn obwohl er in allen dieſen verſchiedenen Lagen
die natürliche, unbeſiegbare Luſtigkeit, die witzige
Geiſtesgegenwart und die ergötzliche Drolligkeit beibe-
hält, die Falſtaff als Geſellſchafter ſo angenehm, ja
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/207>, abgerufen am 13.11.2024.
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