Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen, Ist gleich die trübe Wange bleich, Das Auge nicht mehr hell, Und nahet schon das ernste Reich, Wo Jugend fliehet schnell! Doch lächelt Dir die Wange noch, Das Auge kennt die Thräne noch, Das Herz schlägt noch so warm und frei Als in des Lebens grünstem Mai. So denk' denn nicht, daß nur die Jugend Und Schönheit Segen leiht -- Zeit lehrt die Seele schönre Tugend, In Jahren treuer Zärtlichkeit. Und selbst wenn einst die Nacht von oben Verdunkelnd Deine Brust umfängt, Wird noch durch Liebeshand gehoben Dein Haupt zur ew'gen Ruh' gesenkt. O, so auch blinkt der Abendstern, Ist gleich dahin der Sonne Licht, Noch sanft und warm aus hoher Fern', Und Tages-Glanz entbehrst Du nicht. -- Ja, meine geliebte Julie, so hat auch uns schon nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen, Iſt gleich die truͤbe Wange bleich, Das Auge nicht mehr hell, Und nahet ſchon das ernſte Reich, Wo Jugend fliehet ſchnell! Doch laͤchelt Dir die Wange noch, Das Auge kennt die Thraͤne noch, Das Herz ſchlaͤgt noch ſo warm und frei Als in des Lebens gruͤnſtem Mai. So denk’ denn nicht, daß nur die Jugend Und Schoͤnheit Segen leiht — Zeit lehrt die Seele ſchoͤnre Tugend, In Jahren treuer Zaͤrtlichkeit. Und ſelbſt wenn einſt die Nacht von oben Verdunkelnd Deine Bruſt umfaͤngt, Wird noch durch Liebeshand gehoben Dein Haupt zur ew’gen Ruh’ geſenkt. O, ſo auch blinkt der Abendſtern, Iſt gleich dahin der Sonne Licht, Noch ſanft und warm aus hoher Fern’, Und Tages-Glanz entbehrſt Du nicht. — Ja, meine geliebte Julie, ſo hat auch uns ſchon <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0166" n="126"/> nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen,<lb/> welche ewig Jünglinge bleiben wollen. Ich las neu-<lb/> lich ein paar hübſche engliſche Verſe, die etwas Aehn-<lb/> liches berühren, und die ich, nach meiner Art, in<lb/> Beziehung auf Dich, wie folgt, umwandelte, auf<lb/> Dich, meine mehr als mütterliche Freundin, welche<lb/> ſcheidende Jugend oft zu ſehr bedauert. Dies ſind<lb/> die innig gemeinten Worte:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Iſt gleich die truͤbe Wange bleich,</l><lb/> <l>Das Auge nicht mehr hell,</l><lb/> <l>Und nahet ſchon das ernſte Reich,</l><lb/> <l>Wo Jugend fliehet ſchnell!</l><lb/> <l>Doch laͤchelt Dir die Wange noch,</l><lb/> <l>Das Auge kennt die Thraͤne noch,</l><lb/> <l>Das Herz ſchlaͤgt noch ſo warm und frei</l><lb/> <l>Als in des Lebens gruͤnſtem Mai.</l><lb/> <l>So denk’ denn nicht, daß nur die Jugend</l><lb/> <l>Und Schoͤnheit Segen leiht —</l><lb/> <l>Zeit lehrt die Seele ſchoͤnre Tugend,</l><lb/> <l>In Jahren treuer Zaͤrtlichkeit.</l><lb/> <l>Und ſelbſt wenn einſt die Nacht von oben</l><lb/> <l>Verdunkelnd Deine Bruſt umfaͤngt,</l><lb/> <l>Wird noch durch Liebeshand gehoben</l><lb/> <l>Dein Haupt zur ew’gen Ruh’ geſenkt.</l><lb/> <l>O, ſo auch blinkt der Abendſtern,</l><lb/> <l>Iſt gleich dahin der Sonne Licht,</l><lb/> <l>Noch ſanft und warm aus hoher Fern’,</l><lb/> <l>Und Tages-Glanz entbehrſt Du nicht. —</l> </lg><lb/> <p>Ja, meine geliebte Julie, ſo hat auch uns ſchon<lb/> die Zeit in Jahren treuer Zärtlichkeit gelehrt, daß<lb/> nichts mehr ächten Werth als dieſe haben kann, und<lb/> gegenſeitig ſind wir uns ein Abendſtern geworden,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0166]
nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen,
welche ewig Jünglinge bleiben wollen. Ich las neu-
lich ein paar hübſche engliſche Verſe, die etwas Aehn-
liches berühren, und die ich, nach meiner Art, in
Beziehung auf Dich, wie folgt, umwandelte, auf
Dich, meine mehr als mütterliche Freundin, welche
ſcheidende Jugend oft zu ſehr bedauert. Dies ſind
die innig gemeinten Worte:
Iſt gleich die truͤbe Wange bleich,
Das Auge nicht mehr hell,
Und nahet ſchon das ernſte Reich,
Wo Jugend fliehet ſchnell!
Doch laͤchelt Dir die Wange noch,
Das Auge kennt die Thraͤne noch,
Das Herz ſchlaͤgt noch ſo warm und frei
Als in des Lebens gruͤnſtem Mai.
So denk’ denn nicht, daß nur die Jugend
Und Schoͤnheit Segen leiht —
Zeit lehrt die Seele ſchoͤnre Tugend,
In Jahren treuer Zaͤrtlichkeit.
Und ſelbſt wenn einſt die Nacht von oben
Verdunkelnd Deine Bruſt umfaͤngt,
Wird noch durch Liebeshand gehoben
Dein Haupt zur ew’gen Ruh’ geſenkt.
O, ſo auch blinkt der Abendſtern,
Iſt gleich dahin der Sonne Licht,
Noch ſanft und warm aus hoher Fern’,
Und Tages-Glanz entbehrſt Du nicht. —
Ja, meine geliebte Julie, ſo hat auch uns ſchon
die Zeit in Jahren treuer Zärtlichkeit gelehrt, daß
nichts mehr ächten Werth als dieſe haben kann, und
gegenſeitig ſind wir uns ein Abendſtern geworden,
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