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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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edlen Wohlthäter der Menschheit, rief ich,
eben so triumphirend als gläubig, aus,
Dank Euch, das Geisterreich ist von Neuem
erschlossen, und ist auch die erste Seherin
in ihrem Berufe gestorben, warum sollte
ihr nicht bald eine zweite folgen? was ein-
mal da war, kann auch wieder kommen,
ja trügt mich die süße Hoffnung nicht, so
ist diese Zweite schon gefunden!

Dieser Ausruf, geneigter Leser, hatte
seinen guten Grund, denn schon seit ge-
raumer Zeit lebte in meiner Nähe ein
Mädchen, deren wunderbare Reizbarkeit
des Nervensystems in der ganzen Gegend
fast zum Sprichwort geworden war. Sie
hatte früher als fromme Nonne im B ...
Kloster zu B ... gestanden, und dort selt-
same Fata erlebt, wo sie, bei allen ächt
weiblichen Eigenschaften, zugleich vielfache
Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft
männliche Entschlossenheit zu bekunden.
Man raunte sich sogar ins Ohr, daß sie
im Verlauf gewisser Verfolgungen mehr
als einmal vergiftet worden; durch schleu-
nigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch
immer glücklich wieder hergestellt worden
seye. Wegen dieser geheimnißvollen Avan-
türen hatte man ihr den lügübren Namen

edlen Wohlthaͤter der Menſchheit, rief ich,
eben ſo triumphirend als glaͤubig, aus,
Dank Euch, das Geiſterreich iſt von Neuem
erſchloſſen, und iſt auch die erſte Seherin
in ihrem Berufe geſtorben, warum ſollte
ihr nicht bald eine zweite folgen? was ein-
mal da war, kann auch wieder kommen,
ja truͤgt mich die ſuͤße Hoffnung nicht, ſo
iſt dieſe Zweite ſchon gefunden!

Dieſer Ausruf, geneigter Leſer, hatte
ſeinen guten Grund, denn ſchon ſeit ge-
raumer Zeit lebte in meiner Naͤhe ein
Maͤdchen, deren wunderbare Reizbarkeit
des Nervenſyſtems in der ganzen Gegend
faſt zum Sprichwort geworden war. Sie
hatte fruͤher als fromme Nonne im B …
Kloſter zu B … geſtanden, und dort ſelt-
ſame Fata erlebt, wo ſie, bei allen aͤcht
weiblichen Eigenſchaften, zugleich vielfache
Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft
maͤnnliche Entſchloſſenheit zu bekunden.
Man raunte ſich ſogar ins Ohr, daß ſie
im Verlauf gewiſſer Verfolgungen mehr
als einmal vergiftet worden; durch ſchleu-
nigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch
immer gluͤcklich wieder hergeſtellt worden
ſeye. Wegen dieſer geheimnißvollen Avan-
tuͤren hatte man ihr den luͤguͤbren Namen

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[VII/0015] edlen Wohlthaͤter der Menſchheit, rief ich, eben ſo triumphirend als glaͤubig, aus, Dank Euch, das Geiſterreich iſt von Neuem erſchloſſen, und iſt auch die erſte Seherin in ihrem Berufe geſtorben, warum ſollte ihr nicht bald eine zweite folgen? was ein- mal da war, kann auch wieder kommen, ja truͤgt mich die ſuͤße Hoffnung nicht, ſo iſt dieſe Zweite ſchon gefunden! Dieſer Ausruf, geneigter Leſer, hatte ſeinen guten Grund, denn ſchon ſeit ge- raumer Zeit lebte in meiner Naͤhe ein Maͤdchen, deren wunderbare Reizbarkeit des Nervenſyſtems in der ganzen Gegend faſt zum Sprichwort geworden war. Sie hatte fruͤher als fromme Nonne im B … Kloſter zu B … geſtanden, und dort ſelt- ſame Fata erlebt, wo ſie, bei allen aͤcht weiblichen Eigenſchaften, zugleich vielfache Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft maͤnnliche Entſchloſſenheit zu bekunden. Man raunte ſich ſogar ins Ohr, daß ſie im Verlauf gewiſſer Verfolgungen mehr als einmal vergiftet worden; durch ſchleu- nigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch immer gluͤcklich wieder hergeſtellt worden ſeye. Wegen dieſer geheimnißvollen Avan- tuͤren hatte man ihr den luͤguͤbren Namen

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/15>, abgerufen am 27.11.2024.