auch hier Niemanden auf dem Lande besuchen darf, ohne eingeladen zu seyn, und diese Einladungen sind dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde bestimmt, da die Bekanntschaften groß, und der Raum, wie die dazu bestimmte Zeit, verhältnißmäßig gering ist, also einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gast- freiheit kann man dies kaum nennen, es ist mehr eine Etalage seines Besitzes für möglichst Viele. Hat eine Familie nun einen Monat, oder länger so Haus gehalten, so geht sie die übrige Zeit selbst auf Be- suche aus, der einzige gastfreie Monat hat aber dann schon so viel gekostet, als bei uns die ganze Jahres- revenüe eines reichen Gutsbesitzers beträgt.
Da Du nie in England warst, will ich Dir mit ein paar Worten den Gang eines englischen Di- nes beschreiben, welches sich, wie gesagt, a peu de chose pres überall gleich ist.
Du liebst die Details des täglichen Lebens, und hast mir oft gesagt, Du vermißtest dies bei den mei- sten Reisebeschreibungen, und doch gäbe nichts ein lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe also, wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen findest.
Man führt die Damen am Arm, nicht an der Hand, wie in Frankreich, zu Tisch, und ist auch wie dort von den veralteten Reverenzen befreit, die selbst in vielen der vornehmsten deutschen Gesellschaften, noch nach jedem Führen einer Dame gegenseitig gewechselt
auch hier Niemanden auf dem Lande beſuchen darf, ohne eingeladen zu ſeyn, und dieſe Einladungen ſind dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde beſtimmt, da die Bekanntſchaften groß, und der Raum, wie die dazu beſtimmte Zeit, verhältnißmäßig gering iſt, alſo einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gaſt- freiheit kann man dies kaum nennen, es iſt mehr eine Etalage ſeines Beſitzes für möglichſt Viele. Hat eine Familie nun einen Monat, oder länger ſo Haus gehalten, ſo geht ſie die übrige Zeit ſelbſt auf Be- ſuche aus, der einzige gaſtfreie Monat hat aber dann ſchon ſo viel gekoſtet, als bei uns die ganze Jahres- revenüe eines reichen Gutsbeſitzers beträgt.
Da Du nie in England warſt, will ich Dir mit ein paar Worten den Gang eines engliſchen Di- nés beſchreiben, welches ſich, wie geſagt, à peu de chose près überall gleich iſt.
Du liebſt die Details des täglichen Lebens, und haſt mir oft geſagt, Du vermißteſt dies bei den mei- ſten Reiſebeſchreibungen, und doch gäbe nichts ein lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe alſo, wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen findeſt.
Man führt die Damen am Arm, nicht an der Hand, wie in Frankreich, zu Tiſch, und iſt auch wie dort von den veralteten Reverenzen befreit, die ſelbſt in vielen der vornehmſten deutſchen Geſellſchaften, noch nach jedem Führen einer Dame gegenſeitig gewechſelt
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auch hier Niemanden auf dem Lande beſuchen darf,
ohne eingeladen zu ſeyn, und dieſe Einladungen ſind
dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde beſtimmt, da
die Bekanntſchaften groß, und der Raum, wie die
dazu beſtimmte Zeit, verhältnißmäßig gering iſt, alſo
einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gaſt-
freiheit kann man dies kaum nennen, es iſt mehr
eine Etalage ſeines Beſitzes für möglichſt Viele. Hat
eine Familie nun einen Monat, oder länger ſo Haus
gehalten, ſo geht ſie die übrige Zeit ſelbſt auf Be-
ſuche aus, der einzige gaſtfreie Monat hat aber dann
ſchon ſo viel gekoſtet, als bei uns die ganze Jahres-
revenüe eines reichen Gutsbeſitzers beträgt.
Da Du nie in England warſt, will ich Dir mit
ein paar Worten den Gang eines engliſchen Di-
nés beſchreiben, welches ſich, wie geſagt, à peu de
chose près überall gleich iſt.
Du liebſt die Details des täglichen Lebens, und
haſt mir oft geſagt, Du vermißteſt dies bei den mei-
ſten Reiſebeſchreibungen, und doch gäbe nichts ein
lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe alſo,
wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen
findeſt.
Man führt die Damen am Arm, nicht an der
Hand, wie in Frankreich, zu Tiſch, und iſt auch wie
dort von den veralteten Reverenzen befreit, die ſelbſt
in vielen der vornehmſten deutſchen Geſellſchaften, noch
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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