In einer gewissen Distanz vom Ziele, nach dem Punkte des Auslaufs zu, steht, etwa hundert Schritt seitwärts, eine andere weiße Stange, the betting post genannt. Hier versammeln sich die Wettenden, nachdem sie vorher die Pferde in den Ställen, am Beginn der Bahn, satteln gesehen, und sich noch genau von allen etwa obwaltenden Umständen über- zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier vorgeht, von allem das befremdendste Schauspiel seyn. Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenschule, nur daß mehr Leidenschaft dabei sichtbar wird, und das active Personal eben sowohl aus den ersten Pairs von England, als Livreebedienten, den gemeinsten sharpers und black legs (Betrüger und Gauner) besteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten hat, und hier gleiche Rechte in Anspruch nimmt, auch im Aeussern keinen wesentlichen Unterschied dar- bietet, noch verschieden mit einander umgeht. Die meisten haben Taschenbücher in der Hand, jeder schreit seine Anerbietungen aus, und wer sie annimmt, no- tirt es mit Jenem zugleich in sein Buch. Herzöge, Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch- einander, und wettet mit einander, mit einer Volu- bilität und in Kunstausdrücken, aus denen ein Frem- der ohne langes Studium nicht klug werden kann, bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde sind abge- laufen.
In einer gewiſſen Diſtanz vom Ziele, nach dem Punkte des Auslaufs zu, ſteht, etwa hundert Schritt ſeitwärts, eine andere weiße Stange, the betting post genannt. Hier verſammeln ſich die Wettenden, nachdem ſie vorher die Pferde in den Ställen, am Beginn der Bahn, ſatteln geſehen, und ſich noch genau von allen etwa obwaltenden Umſtänden über- zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier vorgeht, von allem das befremdendſte Schauſpiel ſeyn. Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenſchule, nur daß mehr Leidenſchaft dabei ſichtbar wird, und das active Perſonal eben ſowohl aus den erſten Pairs von England, als Livreebedienten, den gemeinſten sharpers und black legs (Betrüger und Gauner) beſteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten hat, und hier gleiche Rechte in Anſpruch nimmt, auch im Aeuſſern keinen weſentlichen Unterſchied dar- bietet, noch verſchieden mit einander umgeht. Die meiſten haben Taſchenbücher in der Hand, jeder ſchreit ſeine Anerbietungen aus, und wer ſie annimmt, no- tirt es mit Jenem zugleich in ſein Buch. Herzöge, Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch- einander, und wettet mit einander, mit einer Volu- bilität und in Kunſtausdrücken, aus denen ein Frem- der ohne langes Studium nicht klug werden kann, bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde ſind abge- laufen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0117"n="77"/><p>In einer gewiſſen Diſtanz vom Ziele, nach dem<lb/>
Punkte des Auslaufs zu, ſteht, etwa hundert Schritt<lb/>ſeitwärts, eine andere weiße Stange, <hirendition="#aq">the betting<lb/>
post</hi> genannt. Hier verſammeln ſich die Wettenden,<lb/>
nachdem ſie vorher die Pferde in den Ställen, am<lb/>
Beginn der Bahn, ſatteln geſehen, und ſich noch<lb/>
genau von allen etwa obwaltenden Umſtänden über-<lb/>
zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke<lb/>
ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier<lb/>
vorgeht, von allem das <choice><sic>beſremdendſte</sic><corr>befremdendſte</corr></choice> Schauſpiel ſeyn.<lb/>
Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens<lb/>
wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenſchule, nur<lb/>
daß mehr Leidenſchaft dabei ſichtbar wird, und das<lb/>
active Perſonal eben ſowohl aus den erſten Pairs<lb/>
von England, als Livreebedienten, den gemeinſten<lb/><hirendition="#aq">sharpers</hi> und <hirendition="#aq">black legs</hi> (Betrüger und Gauner)<lb/>
beſteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten<lb/>
hat, und hier gleiche Rechte in Anſpruch nimmt,<lb/>
auch im Aeuſſern keinen weſentlichen Unterſchied dar-<lb/>
bietet, noch verſchieden mit einander umgeht. Die<lb/>
meiſten haben Taſchenbücher in der Hand, jeder ſchreit<lb/>ſeine Anerbietungen aus, und wer ſie annimmt, no-<lb/>
tirt es mit Jenem zugleich in ſein Buch. Herzöge,<lb/>
Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch-<lb/>
einander, und wettet mit einander, mit einer Volu-<lb/>
bilität und in Kunſtausdrücken, aus denen ein Frem-<lb/>
der ohne langes Studium nicht klug werden kann,<lb/>
bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde ſind abge-<lb/>
laufen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[77/0117]
In einer gewiſſen Diſtanz vom Ziele, nach dem
Punkte des Auslaufs zu, ſteht, etwa hundert Schritt
ſeitwärts, eine andere weiße Stange, the betting
post genannt. Hier verſammeln ſich die Wettenden,
nachdem ſie vorher die Pferde in den Ställen, am
Beginn der Bahn, ſatteln geſehen, und ſich noch
genau von allen etwa obwaltenden Umſtänden über-
zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke
ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier
vorgeht, von allem das befremdendſte Schauſpiel ſeyn.
Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens
wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenſchule, nur
daß mehr Leidenſchaft dabei ſichtbar wird, und das
active Perſonal eben ſowohl aus den erſten Pairs
von England, als Livreebedienten, den gemeinſten
sharpers und black legs (Betrüger und Gauner)
beſteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten
hat, und hier gleiche Rechte in Anſpruch nimmt,
auch im Aeuſſern keinen weſentlichen Unterſchied dar-
bietet, noch verſchieden mit einander umgeht. Die
meiſten haben Taſchenbücher in der Hand, jeder ſchreit
ſeine Anerbietungen aus, und wer ſie annimmt, no-
tirt es mit Jenem zugleich in ſein Buch. Herzöge,
Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch-
einander, und wettet mit einander, mit einer Volu-
bilität und in Kunſtausdrücken, aus denen ein Frem-
der ohne langes Studium nicht klug werden kann,
bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde ſind abge-
laufen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/117>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.