ihn vor dem Sturm, und glatter Sand, wie Atlas, senkte sich bei der Ebbe nach dem Meere hinab, das in der hellen Mondscheinnacht, gleich dem Reste der Schöpfung, zu schlummern schien, seine kleinsten Wel- len nur selten, vom Hauch des Zephyrs berührt, wie im Traume sich regend und kräuselnd.
In einer solchen Nacht war es, daß Maurice Adair, der Piper *) seinem Dudelsack die einladendsten Töne entlockte, und die Jugend von Iveragh das Fest ihres Heiligen, lustiger als je, mit Tanz und Frohsinn feierte. Maurice war ein schöner und rüstiger jun- ger Bursche -- aber blind. Der Aermste hatte nie der Sonne Licht gesehen, und Tag und Nacht war ihm gleich. Seiner Phantasie schwebten aber dennoch undeutliche Bilder von Schönheit und herzbewegen- den Reizen vor, wenn sein Ohr die süßen Stimmen der Mädchen vernahm, oder seine Hand einen wei- chen Schwanenhals fühlte, oder auch, gleich Blumen- duft, ein rosiger Athem seine Wange berührte. Mau- rice war verliebt, aber noch ohne Gegenstand -- und sein Sehnen wußte sich nur in Melodien zu ergießen, die im einsamen Gesang, oder den Lauten seiner bag pipe**) gar anmuthig ertönten. Maurice's Musik
*) Adair wird Adehr, Piper Peiper ausgesprochen.
**) Ausgesprochen: Begpeip, der Dudelsack der Irländer, dem sie jedoch weit complizirtere Eigenschaften zu geben und sanftere Töne zu entlocken wissen, als die Wen- den, Polen etc. dem ihrigen. A. d. H.
ihn vor dem Sturm, und glatter Sand, wie Atlas, ſenkte ſich bei der Ebbe nach dem Meere hinab, das in der hellen Mondſcheinnacht, gleich dem Reſte der Schöpfung, zu ſchlummern ſchien, ſeine kleinſten Wel- len nur ſelten, vom Hauch des Zephyrs berührt, wie im Traume ſich regend und kräuſelnd.
In einer ſolchen Nacht war es, daß Maurice Adair, der Piper *) ſeinem Dudelſack die einladendſten Töne entlockte, und die Jugend von Iveragh das Feſt ihres Heiligen, luſtiger als je, mit Tanz und Frohſinn feierte. Maurice war ein ſchöner und rüſtiger jun- ger Burſche — aber blind. Der Aermſte hatte nie der Sonne Licht geſehen, und Tag und Nacht war ihm gleich. Seiner Phantaſie ſchwebten aber dennoch undeutliche Bilder von Schönheit und herzbewegen- den Reizen vor, wenn ſein Ohr die ſüßen Stimmen der Mädchen vernahm, oder ſeine Hand einen wei- chen Schwanenhals fühlte, oder auch, gleich Blumen- duft, ein roſiger Athem ſeine Wange berührte. Mau- rice war verliebt, aber noch ohne Gegenſtand — und ſein Sehnen wußte ſich nur in Melodien zu ergießen, die im einſamen Geſang, oder den Lauten ſeiner bag pipe**) gar anmuthig ertönten. Maurice’s Muſik
*) Adair wird Adehr, Piper Peiper ausgeſprochen.
**) Ausgeſprochen: Begpeip, der Dudelſack der Irländer, dem ſie jedoch weit complizirtere Eigenſchaften zu geben und ſanftere Töne zu entlocken wiſſen, als die Wen- den, Polen ꝛc. dem ihrigen. A. d. H.
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ihn vor dem Sturm, und glatter Sand, wie Atlas,
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in der hellen Mondſcheinnacht, gleich dem Reſte der
Schöpfung, zu ſchlummern ſchien, ſeine kleinſten Wel-
len nur ſelten, vom Hauch des Zephyrs berührt, wie
im Traume ſich regend und kräuſelnd.
In einer ſolchen Nacht war es, daß Maurice Adair,
der Piper *) ſeinem Dudelſack die einladendſten Töne
entlockte, und die Jugend von Iveragh das Feſt ihres
Heiligen, luſtiger als je, mit Tanz und Frohſinn
feierte. Maurice war ein ſchöner und rüſtiger jun-
ger Burſche — aber blind. Der Aermſte hatte nie
der Sonne Licht geſehen, und Tag und Nacht war
ihm gleich. Seiner Phantaſie ſchwebten aber dennoch
undeutliche Bilder von Schönheit und herzbewegen-
den Reizen vor, wenn ſein Ohr die ſüßen Stimmen
der Mädchen vernahm, oder ſeine Hand einen wei-
chen Schwanenhals fühlte, oder auch, gleich Blumen-
duft, ein roſiger Athem ſeine Wange berührte. Mau-
rice war verliebt, aber noch ohne Gegenſtand — und
ſein Sehnen wußte ſich nur in Melodien zu ergießen,
die im einſamen Geſang, oder den Lauten ſeiner bag
pipe **) gar anmuthig ertönten. Maurice’s Muſik
*) Adair wird Adehr, Piper Peiper ausgeſprochen.
**) Ausgeſprochen: Begpeip, der Dudelſack der Irländer,
dem ſie jedoch weit complizirtere Eigenſchaften zu geben
und ſanftere Töne zu entlocken wiſſen, als die Wen-
den, Polen ꝛc. dem ihrigen.
A. d. H.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/70>, abgerufen am 22.07.2024.
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