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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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achtzig Schritt, einen Stier mit Wuth auf sie zustür-
zen. W. rief seinem Freunde zu, schnell zu laden,
während er den ersten Schuß thue, und legte an,
als der Spürer rief: Versprecht ihr mir ein Glas
Whiskey extra zu geben, so will ich allein mit dem
Stier fertig werden. Indem drückte W. sein Gewehr
ab, fehlte aber, sein Freund war noch nicht mit La-
den fertig, und kaum hatte er Zeit dem Manne zu-
zurufen: Ein Dutzend Flaschen sollst Du haben --
als sie diesen Helden der Berge auch schon, in dem-
selben Tempo, mit dem der Stier auf sie zustürzte,
ihm selbst entgegenrennen sahen. Im Nu waren
beide aneinander. Mit der größten Gewandtheit er-
griff der junge Mann eins der Hörner des Bullen,
dessen Kopf die Erde streifte, schwenkte sich einen
Schritt seitwärts, und denselben Schritt dann wäh-
rend des Sprungs seines Gegners mit Blitzesschnelle
wieder zurückthuend, faßte er mit beiden Händen des
Bullen Schweif, ohne deshalb seinen weißen Stock
fahren zu lassen. Alles dies war mit der Geschwin-
digkeit des Gedankens verrichtet worden -- und nun
begann der seltsamste Wettlauf, den man je gesehen.
Der Stier wandte alles an, die an seinem Schweif
hängende Last abzuschütteln, aber vergebens. Berg
auf, bergab, über Felsen und Waldbäche rannte er,
wie rasend, umher, doch sein Begleiter, gleich einem
Kobold, schwang sich mit ihm über jedes Hinderniß,
oft an des Schweifes Spitze mehr in der Luft schwe-
bend, als laufend. In kurzer Zeit ward das Thier
von Angst und Rennen ermattet, und sank endlich

achtzig Schritt, einen Stier mit Wuth auf ſie zuſtür-
zen. W. rief ſeinem Freunde zu, ſchnell zu laden,
während er den erſten Schuß thue, und legte an,
als der Spürer rief: Verſprecht ihr mir ein Glas
Whiskey extra zu geben, ſo will ich allein mit dem
Stier fertig werden. Indem drückte W. ſein Gewehr
ab, fehlte aber, ſein Freund war noch nicht mit La-
den fertig, und kaum hatte er Zeit dem Manne zu-
zurufen: Ein Dutzend Flaſchen ſollſt Du haben —
als ſie dieſen Helden der Berge auch ſchon, in dem-
ſelben Tempo, mit dem der Stier auf ſie zuſtürzte,
ihm ſelbſt entgegenrennen ſahen. Im Nu waren
beide aneinander. Mit der größten Gewandtheit er-
griff der junge Mann eins der Hörner des Bullen,
deſſen Kopf die Erde ſtreifte, ſchwenkte ſich einen
Schritt ſeitwärts, und denſelben Schritt dann wäh-
rend des Sprungs ſeines Gegners mit Blitzesſchnelle
wieder zurückthuend, faßte er mit beiden Händen des
Bullen Schweif, ohne deshalb ſeinen weißen Stock
fahren zu laſſen. Alles dies war mit der Geſchwin-
digkeit des Gedankens verrichtet worden — und nun
begann der ſeltſamſte Wettlauf, den man je geſehen.
Der Stier wandte alles an, die an ſeinem Schweif
hängende Laſt abzuſchütteln, aber vergebens. Berg
auf, bergab, über Felſen und Waldbäche rannte er,
wie raſend, umher, doch ſein Begleiter, gleich einem
Kobold, ſchwang ſich mit ihm über jedes Hinderniß,
oft an des Schweifes Spitze mehr in der Luft ſchwe-
bend, als laufend. In kurzer Zeit ward das Thier
von Angſt und Rennen ermattet, und ſank endlich

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[45/0067] achtzig Schritt, einen Stier mit Wuth auf ſie zuſtür- zen. W. rief ſeinem Freunde zu, ſchnell zu laden, während er den erſten Schuß thue, und legte an, als der Spürer rief: Verſprecht ihr mir ein Glas Whiskey extra zu geben, ſo will ich allein mit dem Stier fertig werden. Indem drückte W. ſein Gewehr ab, fehlte aber, ſein Freund war noch nicht mit La- den fertig, und kaum hatte er Zeit dem Manne zu- zurufen: Ein Dutzend Flaſchen ſollſt Du haben — als ſie dieſen Helden der Berge auch ſchon, in dem- ſelben Tempo, mit dem der Stier auf ſie zuſtürzte, ihm ſelbſt entgegenrennen ſahen. Im Nu waren beide aneinander. Mit der größten Gewandtheit er- griff der junge Mann eins der Hörner des Bullen, deſſen Kopf die Erde ſtreifte, ſchwenkte ſich einen Schritt ſeitwärts, und denſelben Schritt dann wäh- rend des Sprungs ſeines Gegners mit Blitzesſchnelle wieder zurückthuend, faßte er mit beiden Händen des Bullen Schweif, ohne deshalb ſeinen weißen Stock fahren zu laſſen. Alles dies war mit der Geſchwin- digkeit des Gedankens verrichtet worden — und nun begann der ſeltſamſte Wettlauf, den man je geſehen. Der Stier wandte alles an, die an ſeinem Schweif hängende Laſt abzuſchütteln, aber vergebens. Berg auf, bergab, über Felſen und Waldbäche rannte er, wie raſend, umher, doch ſein Begleiter, gleich einem Kobold, ſchwang ſich mit ihm über jedes Hinderniß, oft an des Schweifes Spitze mehr in der Luft ſchwe- bend, als laufend. In kurzer Zeit ward das Thier von Angſt und Rennen ermattet, und ſank endlich

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/67>, abgerufen am 23.11.2024.