Europa Bahn zu brechen. Freilich durchschritt es Meister, und vielmehr nachher noch Faust mit ganz andern Riesenschritten! Der Werther-Periode sind wir, glaube ich, entwachsen, an dem Faust aber kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, so lange es Menschen giebt, ihm entwachsen können.
In der Tragödie Faust ist wie im Shakspeare des Menschen ganzes Innere abgespiegelt, und in der Hauptfigur nur der Menschheit ewiges räthselhaftes Sehnen personificirt, das nach einem unbekannten Etwas rastlos ringt, welches dennoch hier nie er- reicht werden kann; daher auch das Drama offenbar nie ein völlig abschließendes Ende haben könnte, wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt würde. Wie aber eben der edlere Menschengeist hier eine schwindelnde Straße betritt, gleich der Brücke des Koran, so ist er auch auf ihr dem Bo- denlosen Falle jeden Augenblick näher, als der Thier- mensch, der ruhig auf der sichern Ebne -- weidet.
Ein Vetter des Herrn O'Connel, der Parforce-Jag- den am See von Killarney hält, hatte mir eine solche für morgen versprochen, -- ich habe aber eine wahre Antipathie, etwas schon Gesehenes wieder zu be- suchen, so lange ich noch Neues vor mir habe, und eine sehr große Veränderung können Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Scene doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in Glengariff liebenswerthe Menschen, und gar viel
Europa Bahn zu brechen. Freilich durchſchritt es Meiſter, und vielmehr nachher noch Fauſt mit ganz andern Rieſenſchritten! Der Werther-Periode ſind wir, glaube ich, entwachſen, an dem Fauſt aber kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, ſo lange es Menſchen giebt, ihm entwachſen können.
In der Tragödie Fauſt iſt wie im Shakspeare des Menſchen ganzes Innere abgeſpiegelt, und in der Hauptfigur nur der Menſchheit ewiges räthſelhaftes Sehnen perſonificirt, das nach einem unbekannten Etwas raſtlos ringt, welches dennoch hier nie er- reicht werden kann; daher auch das Drama offenbar nie ein völlig abſchließendes Ende haben könnte, wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt würde. Wie aber eben der edlere Menſchengeiſt hier eine ſchwindelnde Straße betritt, gleich der Brücke des Koran, ſo iſt er auch auf ihr dem Bo- denloſen Falle jeden Augenblick näher, als der Thier- menſch, der ruhig auf der ſichern Ebne — weidet.
Ein Vetter des Herrn O’Connel, der Parforce-Jag- den am See von Killarney hält, hatte mir eine ſolche für morgen verſprochen, — ich habe aber eine wahre Antipathie, etwas ſchon Geſehenes wieder zu be- ſuchen, ſo lange ich noch Neues vor mir habe, und eine ſehr große Veränderung können Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Scene doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in Glengariff liebenswerthe Menſchen, und gar viel
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Europa Bahn zu brechen. Freilich durchſchritt es
Meiſter, und vielmehr nachher noch Fauſt mit ganz
andern Rieſenſchritten! Der Werther-Periode ſind
wir, glaube ich, entwachſen, an dem Fauſt aber
kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, ſo
lange es Menſchen giebt, ihm entwachſen können.
In der Tragödie Fauſt iſt wie im Shakspeare des
Menſchen ganzes Innere abgeſpiegelt, und in der
Hauptfigur nur der Menſchheit ewiges räthſelhaftes
Sehnen perſonificirt, das nach einem unbekannten
Etwas raſtlos ringt, welches dennoch hier nie er-
reicht werden kann; daher auch das Drama offenbar
nie ein völlig abſchließendes Ende haben könnte,
wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt
würde. Wie aber eben der edlere Menſchengeiſt
hier eine ſchwindelnde Straße betritt, gleich der
Brücke des Koran, ſo iſt er auch auf ihr dem Bo-
denloſen Falle jeden Augenblick näher, als der Thier-
menſch, der ruhig auf der ſichern Ebne — weidet.
Ein Vetter des Herrn O’Connel, der Parforce-Jag-
den am See von Killarney hält, hatte mir eine ſolche
für morgen verſprochen, — ich habe aber eine wahre
Antipathie, etwas ſchon Geſehenes wieder zu be-
ſuchen, ſo lange ich noch Neues vor mir
habe, und eine ſehr große Veränderung können
Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Scene
doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/50>, abgerufen am 23.11.2024.
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