daß kein Globus die Geographie so anschaulich macht, als das Georama, und es zu wünschen wäre, daß alle Lankasterschen Schulen künftig ebenfalls in ei- nem solchen Bauche der Erde angelegt würden, wo man sich bei größerer Gesellschaft, auch mutuellement besser wärmen könnte. Die Seen erscheinen hier, wie in der Wirklichkeit, sehr hübsch blau und durch- sichtig, die feuerspeienden Berge wie kleine glühende Punkte, und den schwarzen Bergketten folgt man be- quem mit den Augen. Als etwas Seltsames fiel es mir auf, daß die großen transparenten Seen in Chi- na, zugleich die Umrisse wahrhaft chinesischer Fratzen darstellten, ganz ihren grotesken Götter-Bildern ähnlich. Unter andern erschien der größte, ohne al- len Effort der Einbildungskraft, als das leibhaftigste Bild eines fliegenden Drachen, wie deren so häufig auf den chinesischen Vasen und auf dem Brustlatz der Mandarine abgebildet sind. Auf diese neue Ent- deckung thue ich mir etwas zu Gute, und wer weiß, ob sich daraus nicht ein neues Licht über die chinesi- sche Mythologie verbreitet. Worüber ich mich dage- gen sehr entrüstet fühlte, war, daß die neuen (nun schon alten) Entdeckungen am Nordpol, in Afrika und dem Himalaya-Gebürge noch nicht einmal an- gegeben waren. Es schien überhaupt die ganze Sa- che etwas en decadence zu seyn, denn, anstatt daß man sonst in Paris zu allen Vorstellungen dieser Art durch hübsche Weiber, die am Bureau sitzen, an-
daß kein Globus die Geographie ſo anſchaulich macht, als das Georama, und es zu wünſchen wäre, daß alle Lankaſterſchen Schulen künftig ebenfalls in ei- nem ſolchen Bauche der Erde angelegt würden, wo man ſich bei größerer Geſellſchaft, auch mutuellement beſſer wärmen könnte. Die Seen erſcheinen hier, wie in der Wirklichkeit, ſehr hübſch blau und durch- ſichtig, die feuerſpeienden Berge wie kleine glühende Punkte, und den ſchwarzen Bergketten folgt man be- quem mit den Augen. Als etwas Seltſames fiel es mir auf, daß die großen transparenten Seen in Chi- na, zugleich die Umriſſe wahrhaft chineſiſcher Fratzen darſtellten, ganz ihren grotesken Götter-Bildern ähnlich. Unter andern erſchien der größte, ohne al- len Effort der Einbildungskraft, als das leibhaftigſte Bild eines fliegenden Drachen, wie deren ſo häufig auf den chineſiſchen Vaſen und auf dem Bruſtlatz der Mandarine abgebildet ſind. Auf dieſe neue Ent- deckung thue ich mir etwas zu Gute, und wer weiß, ob ſich daraus nicht ein neues Licht über die chineſi- ſche Mythologie verbreitet. Worüber ich mich dage- gen ſehr entrüſtet fühlte, war, daß die neuen (nun ſchon alten) Entdeckungen am Nordpol, in Afrika und dem Himalaya-Gebürge noch nicht einmal an- gegeben waren. Es ſchien überhaupt die ganze Sa- che etwas en décadence zu ſeyn, denn, anſtatt daß man ſonſt in Paris zu allen Vorſtellungen dieſer Art durch hübſche Weiber, die am Bureau ſitzen, an-
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daß kein Globus die Geographie ſo anſchaulich macht,
als das Georama, und es zu wünſchen wäre, daß
alle Lankaſterſchen Schulen künftig ebenfalls in ei-
nem ſolchen Bauche der Erde angelegt würden, wo
man ſich bei größerer Geſellſchaft, auch mutuellement
beſſer wärmen könnte. Die Seen erſcheinen hier,
wie in der Wirklichkeit, ſehr hübſch blau und durch-
ſichtig, die feuerſpeienden Berge wie kleine glühende
Punkte, und den ſchwarzen Bergketten folgt man be-
quem mit den Augen. Als etwas Seltſames fiel es
mir auf, daß die großen transparenten Seen in Chi-
na, zugleich die Umriſſe wahrhaft chineſiſcher Fratzen
darſtellten, ganz ihren grotesken Götter-Bildern
ähnlich. Unter andern erſchien der größte, ohne al-
len Effort der Einbildungskraft, als das leibhaftigſte
Bild eines fliegenden Drachen, wie deren ſo häufig
auf den chineſiſchen Vaſen und auf dem Bruſtlatz
der Mandarine abgebildet ſind. Auf dieſe neue Ent-
deckung thue ich mir etwas zu Gute, und wer weiß,
ob ſich daraus nicht ein neues Licht über die chineſi-
ſche Mythologie verbreitet. Worüber ich mich dage-
gen ſehr entrüſtet fühlte, war, daß die neuen (nun
ſchon alten) Entdeckungen am Nordpol, in Afrika
und dem Himalaya-Gebürge noch nicht einmal an-
gegeben waren. Es ſchien überhaupt die ganze Sa-
che etwas en décadence zu ſeyn, denn, anſtatt daß
man ſonſt in Paris zu allen Vorſtellungen dieſer
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/416>, abgerufen am 22.11.2024.
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