Assefeldt zeigt sich ruhig und kalt, aber wohlwollend, ermahnt zur Einigkeit und gemeinschaftlichem Eifer für das allgemeine Beste, entläßt die Behörden nebst dem Baron, und wendet sich nun mit Strenge an seinen Sekretair, dem er die Unanständigkeit seines Vetragens an diesem Morgen, worüber der Baron Klage geführt, nachdrücklich verweist. Der Ritter bittet, mit verbißnem Aerger, um Verzeihung, fügt aber hinzu, daß sein, allerdings tadelnswerthes Be- tragen dennoch zu einer merkwürdigen Entdeckung geführt habe, nämlich, wer der verehrte Herr Van- dryk eigentlich sey. "Nun, und wer ist er?" fragt der Graf gespannt. "Der Henker von Amsterdam." -- Der Graf schlägt erstaunt die Hände zusammen, und der Ritter fährt in seiner Erklärung fort: "Als siebenjähriges Kind," sagte er, "entwendete ich, in unbewußter Spielerei, meiner Mutter einen kostba- ren Diamantring. Er ward lange vergebens gesucht, und um mich nachher für immer von einer so üblen Gewohnheit zu heilen, fiel meine Mutter auf das sonderbare Mittel, den Scharfrichter nebst seinem Er- ben und gesetzlichen Nachfolger, den ältesten seiner Söhne kommen zu lassen, beide in ihrer furchtbaren Amtskleidung und dem breiten Schwerdte in der Hand. Der Jüngste ergriff mich, und indem er das Schwerdt schwenkte, rief er mir zu: dies kalte Eisen würde mir den Tod geben, wenn ich mich je wieder dem schändlichen Verbrechen des Stehlens überließe. Eine wohlthätige Ohnmacht befreite mich hier von aller ferneren Angst, aber nie kam mir seitdem das
Aſſefeldt zeigt ſich ruhig und kalt, aber wohlwollend, ermahnt zur Einigkeit und gemeinſchaftlichem Eifer für das allgemeine Beſte, entläßt die Behörden nebſt dem Baron, und wendet ſich nun mit Strenge an ſeinen Sekretair, dem er die Unanſtändigkeit ſeines Vetragens an dieſem Morgen, worüber der Baron Klage geführt, nachdrücklich verweiſt. Der Ritter bittet, mit verbißnem Aerger, um Verzeihung, fügt aber hinzu, daß ſein, allerdings tadelnswerthes Be- tragen dennoch zu einer merkwürdigen Entdeckung geführt habe, nämlich, wer der verehrte Herr Van- dryk eigentlich ſey. „Nun, und wer iſt er?“ fragt der Graf geſpannt. „Der Henker von Amſterdam.“ — Der Graf ſchlägt erſtaunt die Hände zuſammen, und der Ritter fährt in ſeiner Erklärung fort: „Als ſiebenjähriges Kind,“ ſagte er, „entwendete ich, in unbewußter Spielerei, meiner Mutter einen koſtba- ren Diamantring. Er ward lange vergebens geſucht, und um mich nachher für immer von einer ſo üblen Gewohnheit zu heilen, fiel meine Mutter auf das ſonderbare Mittel, den Scharfrichter nebſt ſeinem Er- ben und geſetzlichen Nachfolger, den älteſten ſeiner Söhne kommen zu laſſen, beide in ihrer furchtbaren Amtskleidung und dem breiten Schwerdte in der Hand. Der Jüngſte ergriff mich, und indem er das Schwerdt ſchwenkte, rief er mir zu: dies kalte Eiſen würde mir den Tod geben, wenn ich mich je wieder dem ſchändlichen Verbrechen des Stehlens überließe. Eine wohlthätige Ohnmacht befreite mich hier von aller ferneren Angſt, aber nie kam mir ſeitdem das
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Aſſefeldt zeigt ſich ruhig und kalt, aber wohlwollend,
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dem Baron, und wendet ſich nun mit Strenge an
ſeinen Sekretair, dem er die Unanſtändigkeit ſeines
Vetragens an dieſem Morgen, worüber der Baron
Klage geführt, nachdrücklich verweiſt. Der Ritter
bittet, mit verbißnem Aerger, um Verzeihung, fügt
aber hinzu, daß ſein, allerdings tadelnswerthes Be-
tragen dennoch zu einer merkwürdigen Entdeckung
geführt habe, nämlich, wer der verehrte Herr Van-
dryk eigentlich ſey. „Nun, und wer iſt er?“ fragt
der Graf geſpannt. „Der Henker von Amſterdam.“
— Der Graf ſchlägt erſtaunt die Hände zuſammen,
und der Ritter fährt in ſeiner Erklärung fort: „Als
ſiebenjähriges Kind,“ ſagte er, „entwendete ich, in
unbewußter Spielerei, meiner Mutter einen koſtba-
ren Diamantring. Er ward lange vergebens geſucht,
und um mich nachher für immer von einer ſo üblen
Gewohnheit zu heilen, fiel meine Mutter auf das
ſonderbare Mittel, den Scharfrichter nebſt ſeinem Er-
ben und geſetzlichen Nachfolger, den älteſten ſeiner
Söhne kommen zu laſſen, beide in ihrer furchtbaren
Amtskleidung und dem breiten Schwerdte in der
Hand. Der Jüngſte ergriff mich, und indem er das
Schwerdt ſchwenkte, rief er mir zu: dies kalte Eiſen
würde mir den Tod geben, wenn ich mich je wieder
dem ſchändlichen Verbrechen des Stehlens überließe.
Eine wohlthätige Ohnmacht befreite mich hier von
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/387>, abgerufen am 22.11.2024.
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