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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Geschirr geschmückten Postzüge der englischen Eilwa-
gen erinnert, so denkt man, im Traume 1000 Meilen
weiter versetzt worden zu seyn. Die schlechten Stra-
ßen, dürftigen und unreinlichen Städte erwecken das-
selbe Gefühl, dagegen sind vier Dinge dennoch im
Volksleben offenbar besser: Clima, Küche und Keller,
Wohlfeilheit und Geselligkeit. Mais commencons
par le commencement
.

Nachdem ich meinen Incognitopaß gegen einen
gleichen provisorischen, und nur bis Paris gültigen,
auf der Mairie umgetauscht, wobei ich, auf Befragen
wie ich hieße, mich meines neuen Namens beinahe
nicht erinnert hätte, näherte ich mich dem wunderba-
ren Bau, den man in Frankreich eine Diligence
nennt. Das Ungethüm hatte die Länge eines Hau-
ses, und bestand eigentlich aus vier verschiedenen,
wie an einander gewachsenen Wagen, die Berline in
der Mitte, eine Kutsche nebst Gepäckkorb hinten, ein
Coupe vorn, und an diesem noch das Cabriolet, wo
der Conducteur sitzt, und neben welchem auch ich
meinen Platz genommen hatte. Dieser Conducteur,
ein alter Soldat der Napoleonischen Garde, war, wie
ein Kärrner, in eine blaue Blouze gekleidet, mit ei-
ner gestickten Mütze aus demselben Zeuge auf dem
Kopf, der Postillon sah aber noch origineller aus,
und wirklich halb einem Wilden ähnlich. Auch er
trug zwar eine Blouze, mit ungeheuren, über und
über mit Koth bespritzten Stiefeln darunter, aber zu-
gleich auch eine Schürze von schwarzen Schaaffellen,

Geſchirr geſchmückten Poſtzüge der engliſchen Eilwa-
gen erinnert, ſo denkt man, im Traume 1000 Meilen
weiter verſetzt worden zu ſeyn. Die ſchlechten Stra-
ßen, dürftigen und unreinlichen Städte erwecken daſ-
ſelbe Gefühl, dagegen ſind vier Dinge dennoch im
Volksleben offenbar beſſer: Clima, Küche und Keller,
Wohlfeilheit und Geſelligkeit. Mais commencons
par le commencement
.

Nachdem ich meinen Incognitopaß gegen einen
gleichen proviſoriſchen, und nur bis Paris gültigen,
auf der Mairie umgetauſcht, wobei ich, auf Befragen
wie ich hieße, mich meines neuen Namens beinahe
nicht erinnert hätte, näherte ich mich dem wunderba-
ren Bau, den man in Frankreich eine Diligence
nennt. Das Ungethüm hatte die Länge eines Hau-
ſes, und beſtand eigentlich aus vier verſchiedenen,
wie an einander gewachſenen Wagen, die Berline in
der Mitte, eine Kutſche nebſt Gepäckkorb hinten, ein
Coupé vorn, und an dieſem noch das Cabriolet, wo
der Conducteur ſitzt, und neben welchem auch ich
meinen Platz genommen hatte. Dieſer Conducteur,
ein alter Soldat der Napoleoniſchen Garde, war, wie
ein Kärrner, in eine blaue Blouze gekleidet, mit ei-
ner geſtickten Mütze aus demſelben Zeuge auf dem
Kopf, der Poſtillon ſah aber noch origineller aus,
und wirklich halb einem Wilden ähnlich. Auch er
trug zwar eine Blouze, mit ungeheuren, über und
über mit Koth beſpritzten Stiefeln darunter, aber zu-
gleich auch eine Schürze von ſchwarzen Schaaffellen,

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[322/0344] Geſchirr geſchmückten Poſtzüge der engliſchen Eilwa- gen erinnert, ſo denkt man, im Traume 1000 Meilen weiter verſetzt worden zu ſeyn. Die ſchlechten Stra- ßen, dürftigen und unreinlichen Städte erwecken daſ- ſelbe Gefühl, dagegen ſind vier Dinge dennoch im Volksleben offenbar beſſer: Clima, Küche und Keller, Wohlfeilheit und Geſelligkeit. Mais commencons par le commencement. Nachdem ich meinen Incognitopaß gegen einen gleichen proviſoriſchen, und nur bis Paris gültigen, auf der Mairie umgetauſcht, wobei ich, auf Befragen wie ich hieße, mich meines neuen Namens beinahe nicht erinnert hätte, näherte ich mich dem wunderba- ren Bau, den man in Frankreich eine Diligence nennt. Das Ungethüm hatte die Länge eines Hau- ſes, und beſtand eigentlich aus vier verſchiedenen, wie an einander gewachſenen Wagen, die Berline in der Mitte, eine Kutſche nebſt Gepäckkorb hinten, ein Coupé vorn, und an dieſem noch das Cabriolet, wo der Conducteur ſitzt, und neben welchem auch ich meinen Platz genommen hatte. Dieſer Conducteur, ein alter Soldat der Napoleoniſchen Garde, war, wie ein Kärrner, in eine blaue Blouze gekleidet, mit ei- ner geſtickten Mütze aus demſelben Zeuge auf dem Kopf, der Poſtillon ſah aber noch origineller aus, und wirklich halb einem Wilden ähnlich. Auch er trug zwar eine Blouze, mit ungeheuren, über und über mit Koth beſpritzten Stiefeln darunter, aber zu- gleich auch eine Schürze von ſchwarzen Schaaffellen,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/344>, abgerufen am 26.11.2024.