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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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enthalt verpönt, aber hier war ein nationales Un-
glück im Spiel -- denn die meute und Jäger hat-
ten den Fuchs verloren! Der Kutscher hielt an,
und Mehrere sprangen herab, dem Troß, der nun
sich mit jedem Augenblick vermehrte, den rechten
Weg zu zeigen. Nicht eher wurden wir wieder flott,
bis wir von Neuem die Jagd in vollem Gange sahen,
wozu wir die Hüte schwenkten und "Tallyho!" rie-
fen. Sobald unser Gewissen hiernach gänzlich be-
ruhigt war, und der Fuchs in der Plaine seinem
unvermeidlichen Schicksal überliefert, peitschte der
Kutscher in die Pferde, die Versäumniß nachzuholen,
und den Rest des Weges jagten wir im sausenden
Gallop davon, als wenn der wilde Jäger selbst hin-
ter uns wäre.

Aber 12 Uhr hat's geschlagen und bald hätte ich
vergessen, nach guter alter Sitte, Dir zu gratuli-
ren -- denn

Ein neues Jahr beginnt,
Schon Sand auf Sandkorn rinnt!
Wird's Glück bedeuten,
Oder Unheil bereiten?

Im wachenden Traume erscheint mir das Bild
meines räthselvollen Lebens --

Die Wolken zieh'n, die Stürme sausen,
Der Donner rollt, die Fluthen brausen,
Gefahrvoll ist das Schiff zu schauen,
Wer mag dem falschen Meere trauen!
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enthalt verpönt, aber hier war ein nationales Un-
glück im Spiel — denn die meute und Jäger hat-
ten den Fuchs verloren! Der Kutſcher hielt an,
und Mehrere ſprangen herab, dem Troß, der nun
ſich mit jedem Augenblick vermehrte, den rechten
Weg zu zeigen. Nicht eher wurden wir wieder flott,
bis wir von Neuem die Jagd in vollem Gange ſahen,
wozu wir die Hüte ſchwenkten und „Tallyho!“ rie-
fen. Sobald unſer Gewiſſen hiernach gänzlich be-
ruhigt war, und der Fuchs in der Plaine ſeinem
unvermeidlichen Schickſal überliefert, peitſchte der
Kutſcher in die Pferde, die Verſäumniß nachzuholen,
und den Reſt des Weges jagten wir im ſauſenden
Gallop davon, als wenn der wilde Jäger ſelbſt hin-
ter uns wäre.

Aber 12 Uhr hat’s geſchlagen und bald hätte ich
vergeſſen, nach guter alter Sitte, Dir zu gratuli-
ren — denn

Ein neues Jahr beginnt,
Schon Sand auf Sandkorn rinnt!
Wird’s Glück bedeuten,
Oder Unheil bereiten?

Im wachenden Traume erſcheint mir das Bild
meines räthſelvollen Lebens —

Die Wolken zieh’n, die Stürme ſauſen,
Der Donner rollt, die Fluthen brauſen,
Gefahrvoll iſt das Schiff zu ſchauen,
Wer mag dem falſchen Meere trauen!
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[305/0327] enthalt verpönt, aber hier war ein nationales Un- glück im Spiel — denn die meute und Jäger hat- ten den Fuchs verloren! Der Kutſcher hielt an, und Mehrere ſprangen herab, dem Troß, der nun ſich mit jedem Augenblick vermehrte, den rechten Weg zu zeigen. Nicht eher wurden wir wieder flott, bis wir von Neuem die Jagd in vollem Gange ſahen, wozu wir die Hüte ſchwenkten und „Tallyho!“ rie- fen. Sobald unſer Gewiſſen hiernach gänzlich be- ruhigt war, und der Fuchs in der Plaine ſeinem unvermeidlichen Schickſal überliefert, peitſchte der Kutſcher in die Pferde, die Verſäumniß nachzuholen, und den Reſt des Weges jagten wir im ſauſenden Gallop davon, als wenn der wilde Jäger ſelbſt hin- ter uns wäre. Aber 12 Uhr hat’s geſchlagen und bald hätte ich vergeſſen, nach guter alter Sitte, Dir zu gratuli- ren — denn Ein neues Jahr beginnt, Schon Sand auf Sandkorn rinnt! Wird’s Glück bedeuten, Oder Unheil bereiten? Im wachenden Traume erſcheint mir das Bild meines räthſelvollen Lebens — Die Wolken zieh’n, die Stürme ſauſen, Der Donner rollt, die Fluthen brauſen, Gefahrvoll iſt das Schiff zu ſchauen, Wer mag dem falſchen Meere trauen! 20*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/327>, abgerufen am 22.11.2024.