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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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mit dem Oberleibe tief aus derselben herabbiegen,
und so nach der ersten Klammer darüber tappen,
ohne sie noch sehen zu können. Hat er sie durch
das Gefühl endlich erreicht und fest gefaßt, so schwingt
er sich, an ihr in der Luft hängend, daran hinauf,
und sucht, während dem, mit den Füßen das Regen-
dach zu gewinnen, von dem er dann von Klammer
zu Klammer hinaufsteigt. Gewiß wäre es leicht, eine
bequemere und weniger gefährliche Vorrichtung an-
zubringen, aber der Thürmer ist es einmal so von
seiner Kindheit an gewöhnt, und will es nicht anders
haben. Selbst bei Nacht ist er schon diesen hals-
brechenden Weg gegangen, und freut sich, daß nur
selten ein Fremder, selbst Matrosen, die sonst überall
hinklettern, es gewagt hat, ihm zu folgen.

Als wir zur ersten, frei um den Thurm führenden,
Gallerie wieder herabkamen, zeigte mir der Führer
einen Habicht, der nur zwanzig bis dreißig Fuß über
uns schwebte. Seit vielen Jahren, sagte er, hält sich
ein Paar dieser Vögel auf dem Thurm auf, und
nährt sich von des Herrn Bischoffs Tauben. Ich
sehe oft einen oder den andern, fuhr er fort, über
dem Kreuz sich wiegen, und dann plötzlich auf die
Vögel unten stoßen; manchmal läßt er sie auch auf
das Kirchdach oder die Gallerie wieder herabfallen,
geht aber nie ein zweitesmal nach einer so verlornen
Beute, und läßt sie gewiß dort verfaulen, wenn ich
sie nicht weghole. Des Bischoffs Pallast und Garten
breiteten sich malerisch unter uns aus, und alle

mit dem Oberleibe tief aus derſelben herabbiegen,
und ſo nach der erſten Klammer darüber tappen,
ohne ſie noch ſehen zu können. Hat er ſie durch
das Gefühl endlich erreicht und feſt gefaßt, ſo ſchwingt
er ſich, an ihr in der Luft hängend, daran hinauf,
und ſucht, während dem, mit den Füßen das Regen-
dach zu gewinnen, von dem er dann von Klammer
zu Klammer hinaufſteigt. Gewiß wäre es leicht, eine
bequemere und weniger gefährliche Vorrichtung an-
zubringen, aber der Thürmer iſt es einmal ſo von
ſeiner Kindheit an gewöhnt, und will es nicht anders
haben. Selbſt bei Nacht iſt er ſchon dieſen hals-
brechenden Weg gegangen, und freut ſich, daß nur
ſelten ein Fremder, ſelbſt Matroſen, die ſonſt überall
hinklettern, es gewagt hat, ihm zu folgen.

Als wir zur erſten, frei um den Thurm führenden,
Gallerie wieder herabkamen, zeigte mir der Führer
einen Habicht, der nur zwanzig bis dreißig Fuß über
uns ſchwebte. Seit vielen Jahren, ſagte er, hält ſich
ein Paar dieſer Vögel auf dem Thurm auf, und
nährt ſich von des Herrn Biſchoffs Tauben. Ich
ſehe oft einen oder den andern, fuhr er fort, über
dem Kreuz ſich wiegen, und dann plötzlich auf die
Vögel unten ſtoßen; manchmal läßt er ſie auch auf
das Kirchdach oder die Gallerie wieder herabfallen,
geht aber nie ein zweitesmal nach einer ſo verlornen
Beute, und läßt ſie gewiß dort verfaulen, wenn ich
ſie nicht weghole. Des Biſchoffs Pallaſt und Garten
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[296/0318] mit dem Oberleibe tief aus derſelben herabbiegen, und ſo nach der erſten Klammer darüber tappen, ohne ſie noch ſehen zu können. Hat er ſie durch das Gefühl endlich erreicht und feſt gefaßt, ſo ſchwingt er ſich, an ihr in der Luft hängend, daran hinauf, und ſucht, während dem, mit den Füßen das Regen- dach zu gewinnen, von dem er dann von Klammer zu Klammer hinaufſteigt. Gewiß wäre es leicht, eine bequemere und weniger gefährliche Vorrichtung an- zubringen, aber der Thürmer iſt es einmal ſo von ſeiner Kindheit an gewöhnt, und will es nicht anders haben. Selbſt bei Nacht iſt er ſchon dieſen hals- brechenden Weg gegangen, und freut ſich, daß nur ſelten ein Fremder, ſelbſt Matroſen, die ſonſt überall hinklettern, es gewagt hat, ihm zu folgen. Als wir zur erſten, frei um den Thurm führenden, Gallerie wieder herabkamen, zeigte mir der Führer einen Habicht, der nur zwanzig bis dreißig Fuß über uns ſchwebte. Seit vielen Jahren, ſagte er, hält ſich ein Paar dieſer Vögel auf dem Thurm auf, und nährt ſich von des Herrn Biſchoffs Tauben. Ich ſehe oft einen oder den andern, fuhr er fort, über dem Kreuz ſich wiegen, und dann plötzlich auf die Vögel unten ſtoßen; manchmal läßt er ſie auch auf das Kirchdach oder die Gallerie wieder herabfallen, geht aber nie ein zweitesmal nach einer ſo verlornen Beute, und läßt ſie gewiß dort verfaulen, wenn ich ſie nicht weghole. Des Biſchoffs Pallaſt und Garten breiteten ſich maleriſch unter uns aus, und alle

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/318>, abgerufen am 22.11.2024.