Gestern Abend sieben Uhr verließ ich Bath, wie- derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer, demohngeachtet hatte sie sich schon wieder einen Lieb- haber angeschafft, der vor dem Thore, als blinder Passagier, (aber kein Amor, sondern ächter John Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er nicht von der Landwirthschaft sprach, mit gräßlichen Tagesneuigkeiten, die die Engländer so sehr lieben, daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt sind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm, Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor acht Tagen, mit einander schäkernd und sich jagend, in eine kochende Masse, welche viele Grade heißer als
Sechs und vierzigſter Brief.
Salisbury, den 27ſten December 1828.
Geliebte Freundin!
Geſtern Abend ſieben Uhr verließ ich Bath, wie- derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer, demohngeachtet hatte ſie ſich ſchon wieder einen Lieb- haber angeſchafft, der vor dem Thore, als blinder Paſſagier, (aber kein Amor, ſondern ächter John Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er nicht von der Landwirthſchaft ſprach, mit gräßlichen Tagesneuigkeiten, die die Engländer ſo ſehr lieben, daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt ſind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm, Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor acht Tagen, mit einander ſchäkernd und ſich jagend, in eine kochende Maſſe, welche viele Grade heißer als
<TEI><text><body><pbfacs="#f0308"n="[286]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Sechs und vierzigſter Brief.</hi></head><lb/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Salisbury, den 27<hirendition="#sup">ſten</hi> December 1828.</hi></dateline><lb/><salute>Geliebte Freundin!</salute></opener><lb/><p>Geſtern Abend ſieben Uhr verließ ich Bath, wie-<lb/>
derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich<lb/>
allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer,<lb/>
demohngeachtet hatte ſie ſich ſchon wieder einen Lieb-<lb/>
haber angeſchafft, der vor dem Thore, als <hirendition="#g">blinder</hi><lb/>
Paſſagier, (aber kein Amor, ſondern ächter John<lb/>
Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er<lb/>
nicht von der Landwirthſchaft ſprach, mit gräßlichen<lb/>
Tagesneuigkeiten, die die Engländer ſo ſehr lieben,<lb/>
daß ihre Zeitungscolonnen <choice><sic>tȧglich</sic><corr>täglich</corr></choice> damit angefüllt<lb/>ſind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm,<lb/>
Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor<lb/>
acht Tagen, mit einander <choice><sic>ſchȧkernd</sic><corr>ſchäkernd</corr></choice> und ſich jagend,<lb/>
in eine kochende Maſſe, welche viele Grade heißer als<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[286]/0308]
Sechs und vierzigſter Brief.
Salisbury, den 27ſten December 1828.
Geliebte Freundin!
Geſtern Abend ſieben Uhr verließ ich Bath, wie-
derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich
allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer,
demohngeachtet hatte ſie ſich ſchon wieder einen Lieb-
haber angeſchafft, der vor dem Thore, als blinder
Paſſagier, (aber kein Amor, ſondern ächter John
Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er
nicht von der Landwirthſchaft ſprach, mit gräßlichen
Tagesneuigkeiten, die die Engländer ſo ſehr lieben,
daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt
ſind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm,
Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor
acht Tagen, mit einander ſchäkernd und ſich jagend,
in eine kochende Maſſe, welche viele Grade heißer als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. [286]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/308>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.