scheint fast, als ob diese Menschenwerke erst ihre Vollkommenheit erreichten, wenn die Natur sie wie- der corrigirt hat -- und doch ist es gut, wenn zu- letzt der Mensch nochmals eingreift, in den Zeit- punkt, wo die Natur anfängt, seine Spur gänz- lich zu verwischen. Eine grandiose und wohl er- haltne Ruine ist darum das schönste Gebäude.
Ich erwähnte schon, daß die Umgegend von Bristol ebenfalls, und mit Recht, einen hohen Ruf hat. An Reichthum, Ueppigkeit der Vegetation und Frucht- barkeit, kann sie von keiner übertroffen werden, an malerischen Schönheiten gewiß nicht von vielen. C'est comme la terre promise; Alles was man sieht, (und als gourmand setze ich hinzu) auch alles was man genießt, ist in hoher Vollkommenheit.
Bristol, eine Stadt von 100,000 Einwohnern, liegt in einem tiefen Thal; Clifton, das sich am Berge terassenförmig unmittelbar darüber erhebt, scheint nur ein andrer Theil derselben Stadt. Daß durch diese Lage außerordentliche Effekte hervorgebracht werden müssen, kann man sich leicht vorstellen. Aus dem verworrenen Gewühl der Häusermasse der alten Hauptstadt im Thale ragen drei verwitterte gothische Kirchen empor. Gleich stolzen Ueberresten der Feudal- und Mönchsherrschaft (denn beide gingen, obgleich als feindliche Brüder, Hand in Hand) schienen sie, im Gefühl der alten Größe, noch ihre greisen Häup- ter nicht beugen zu wollen vor dem aufgeschoßnen Pflanzendickicht neuerer Zeit. Besonders eine der-
ſcheint faſt, als ob dieſe Menſchenwerke erſt ihre Vollkommenheit erreichten, wenn die Natur ſie wie- der corrigirt hat — und doch iſt es gut, wenn zu- letzt der Menſch nochmals eingreift, in den Zeit- punkt, wo die Natur anfängt, ſeine Spur gänz- lich zu verwiſchen. Eine grandioſe und wohl er- haltne Ruine iſt darum das ſchönſte Gebäude.
Ich erwähnte ſchon, daß die Umgegend von Briſtol ebenfalls, und mit Recht, einen hohen Ruf hat. An Reichthum, Ueppigkeit der Vegetation und Frucht- barkeit, kann ſie von keiner übertroffen werden, an maleriſchen Schönheiten gewiß nicht von vielen. C’est comme la terre promise; Alles was man ſieht, (und als gourmand ſetze ich hinzu) auch alles was man genießt, iſt in hoher Vollkommenheit.
Briſtol, eine Stadt von 100,000 Einwohnern, liegt in einem tiefen Thal; Clifton, das ſich am Berge teraſſenförmig unmittelbar darüber erhebt, ſcheint nur ein andrer Theil derſelben Stadt. Daß durch dieſe Lage außerordentliche Effekte hervorgebracht werden müſſen, kann man ſich leicht vorſtellen. Aus dem verworrenen Gewühl der Häuſermaſſe der alten Hauptſtadt im Thale ragen drei verwitterte gothiſche Kirchen empor. Gleich ſtolzen Ueberreſten der Feudal- und Mönchsherrſchaft (denn beide gingen, obgleich als feindliche Brüder, Hand in Hand) ſchienen ſie, im Gefühl der alten Größe, noch ihre greiſen Häup- ter nicht beugen zu wollen vor dem aufgeſchoßnen Pflanzendickicht neuerer Zeit. Beſonders eine der-
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ſcheint faſt, als ob dieſe Menſchenwerke erſt ihre
Vollkommenheit erreichten, wenn die Natur ſie wie-
der corrigirt hat — und doch iſt es gut, wenn zu-
letzt der Menſch nochmals eingreift, in den Zeit-
punkt, wo die Natur anfängt, ſeine Spur gänz-
lich zu verwiſchen. Eine grandioſe und wohl er-
haltne Ruine iſt darum das ſchönſte Gebäude.
Ich erwähnte ſchon, daß die Umgegend von Briſtol
ebenfalls, und mit Recht, einen hohen Ruf hat. An
Reichthum, Ueppigkeit der Vegetation und Frucht-
barkeit, kann ſie von keiner übertroffen werden, an
maleriſchen Schönheiten gewiß nicht von vielen. C’est
comme la terre promise; Alles was man ſieht, (und
als gourmand ſetze ich hinzu) auch alles was man
genießt, iſt in hoher Vollkommenheit.
Briſtol, eine Stadt von 100,000 Einwohnern, liegt
in einem tiefen Thal; Clifton, das ſich am Berge
teraſſenförmig unmittelbar darüber erhebt, ſcheint
nur ein andrer Theil derſelben Stadt. Daß durch
dieſe Lage außerordentliche Effekte hervorgebracht
werden müſſen, kann man ſich leicht vorſtellen. Aus
dem verworrenen Gewühl der Häuſermaſſe der alten
Hauptſtadt im Thale ragen drei verwitterte gothiſche
Kirchen empor. Gleich ſtolzen Ueberreſten der Feudal-
und Mönchsherrſchaft (denn beide gingen, obgleich
als feindliche Brüder, Hand in Hand) ſchienen ſie,
im Gefühl der alten Größe, noch ihre greiſen Häup-
ter nicht beugen zu wollen vor dem aufgeſchoßnen
Pflanzendickicht neuerer Zeit. Beſonders eine der-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/288>, abgerufen am 25.11.2024.
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