der Welt zuerst erblickte, ist nur noch ein gothisch verziertes Fenster und ein Hof übrig, in dem Trut- hühner, Gänse und Enten gemästet werden. Dies paßte freilich besser zum Geburtsort Falstaff's.
Um einen schriftlichen Wegweiser zu kaufen, ging ich in einen Buchladen, wo ich unerwartet die Be- kanntschaft einer sehr liebenswürdigen Familie machte. Sie bestand aus dem alten Buchhändler, seiner Frau, und zwei hübschen Töchtern, die unschuldigsten Land- mädchen, die mir je vorgekommen. Ich traf sie bei ihrem Abendthee, und der Vater, ein gutmüthiger, aber für einen Engländer seltsam sprachseliger Schwätzer, nahm mich förmlich fest und gefangen, um mir die sonderbarsten Fragen über den Continent und die Politik vorzulegen. Die Töchter, die mich, wahrscheinlich aus Erfabrung, bedauerten, wollten ihn abhalten -- ich ließ ihn aber gewähren, und gab mich de bonne grace eine halbe Stunde Preis, wo- durch ich die Gewogenheit der ganzen Familie in solchem Grade gewann, daß alle mich auf das drin- gendste einluden, doch einige Tage hier in der schö- nen Gegend zu verweilen, und bei ihnen zu wohnen. Als ich endlich ging, wollten sie für das gekaufte Buch durchaus nichts annehmen, und ich mußte es bongre malgre als Geschenk behalten.
Solche schlichte Eroberungen freuen mich, weil ihre Ergebnisse nur vom Herzen kommen können.
der Welt zuerſt erblickte, iſt nur noch ein gothiſch verziertes Fenſter und ein Hof übrig, in dem Trut- hühner, Gänſe und Enten gemäſtet werden. Dies paßte freilich beſſer zum Geburtsort Falſtaff’s.
Um einen ſchriftlichen Wegweiſer zu kaufen, ging ich in einen Buchladen, wo ich unerwartet die Be- kanntſchaft einer ſehr liebenswürdigen Familie machte. Sie beſtand aus dem alten Buchhändler, ſeiner Frau, und zwei hübſchen Töchtern, die unſchuldigſten Land- mädchen, die mir je vorgekommen. Ich traf ſie bei ihrem Abendthee, und der Vater, ein gutmüthiger, aber für einen Engländer ſeltſam ſprachſeliger Schwätzer, nahm mich förmlich feſt und gefangen, um mir die ſonderbarſten Fragen über den Continent und die Politik vorzulegen. Die Töchter, die mich, wahrſcheinlich aus Erfabrung, bedauerten, wollten ihn abhalten — ich ließ ihn aber gewähren, und gab mich de bonne grace eine halbe Stunde Preis, wo- durch ich die Gewogenheit der ganzen Familie in ſolchem Grade gewann, daß alle mich auf das drin- gendſte einluden, doch einige Tage hier in der ſchö- nen Gegend zu verweilen, und bei ihnen zu wohnen. Als ich endlich ging, wollten ſie für das gekaufte Buch durchaus nichts annehmen, und ich mußte es bongré malgré als Geſchenk behalten.
Solche ſchlichte Eroberungen freuen mich, weil ihre Ergebniſſe nur vom Herzen kommen können.
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der Welt zuerſt erblickte, iſt nur noch ein gothiſch
verziertes Fenſter und ein Hof übrig, in dem Trut-
hühner, Gänſe und Enten gemäſtet werden. Dies
paßte freilich beſſer zum Geburtsort Falſtaff’s.
Um einen ſchriftlichen Wegweiſer zu kaufen, ging
ich in einen Buchladen, wo ich unerwartet die Be-
kanntſchaft einer ſehr liebenswürdigen Familie machte.
Sie beſtand aus dem alten Buchhändler, ſeiner Frau,
und zwei hübſchen Töchtern, die unſchuldigſten Land-
mädchen, die mir je vorgekommen. Ich traf ſie bei
ihrem Abendthee, und der Vater, ein gutmüthiger,
aber für einen Engländer ſeltſam ſprachſeliger
Schwätzer, nahm mich förmlich feſt und gefangen,
um mir die ſonderbarſten Fragen über den Continent
und die Politik vorzulegen. Die Töchter, die mich,
wahrſcheinlich aus Erfabrung, bedauerten, wollten
ihn abhalten — ich ließ ihn aber gewähren, und gab
mich de bonne grace eine halbe Stunde Preis, wo-
durch ich die Gewogenheit der ganzen Familie in
ſolchem Grade gewann, daß alle mich auf das drin-
gendſte einluden, doch einige Tage hier in der ſchö-
nen Gegend zu verweilen, und bei ihnen zu wohnen.
Als ich endlich ging, wollten ſie für das gekaufte
Buch durchaus nichts annehmen, und ich mußte es
bongré malgré als Geſchenk behalten.
Solche ſchlichte Eroberungen freuen mich, weil ihre
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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