Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

halb den des grauen Alterthums trägt -- dies ist
die Wiege Heinrich des V., denn hier verbrachte er
seine Kindheit unter Aufsicht der Gräfin von Salis-
bury. Tiefer unten im Thal steht noch dieselbe un-
ansehnliche kleine Kirche, in der er getauft, und seine
Pflegerin begraben ward. Agincourt und Falstaff,
Mittelalter und Shakespeare wurden lebendig vor
meiner Phantasie, bis die noch ältere und grö-
ßere Natur selbst
, mich bald alles Uebrige ver-
gessen ließ. Denn nun gleitete unser Kahn in die
Felsenregion hinein, wo der schäumende Fluß, und
seine kühnen Umgebungen den imposantesten Charak-
ter annehmen. Es sind verwitterte und zerbröckelte
Sandsteinwände, von riesenhaften Dimensionen, alle
schroff und perpendikulair abfallend, aus Eichenwäl-
dern hervorstehend, und mit hundertfachen Festons
von Epheu überhangen. Die Regen und Stürme
vieler Jahrtausende haben die weiche Masse in so
phantastische Formen verwaschen und gemodelt, daß
man künstliches Menschenwerk zu sehen glaubt.
Schlosser und Thürme, Amphitheater und Mauern,
Zinnen und Obelisken, äffen den Wanderer, der sich
in die Ruinen einer Dämonenstadt versetzt wähnt.
Oft lösen sich einzelne dieser Gebilde bei Unwettern
ab, und stürzen verheerend, von Felsen zu Felsen ab-
prallend, mit Donnergetöse in die hier unergründliche
Tiefe des Stroms. Man zeigte mir die Ueberbleibsel
eines dieser Blöcke, und das Monument des armen
Portugiesen, den er in seinem Falle begrub. Diese
seltsame Felsenformation erstreckt sich, fast acht Mei-

halb den des grauen Alterthums trägt — dies iſt
die Wiege Heinrich des V., denn hier verbrachte er
ſeine Kindheit unter Aufſicht der Gräfin von Salis-
bury. Tiefer unten im Thal ſteht noch dieſelbe un-
anſehnliche kleine Kirche, in der er getauft, und ſeine
Pflegerin begraben ward. Agincourt und Falſtaff,
Mittelalter und Shakeſpeare wurden lebendig vor
meiner Phantaſie, bis die noch ältere und grö-
ßere Natur ſelbſt
, mich bald alles Uebrige ver-
geſſen ließ. Denn nun gleitete unſer Kahn in die
Felſenregion hinein, wo der ſchäumende Fluß, und
ſeine kühnen Umgebungen den impoſanteſten Charak-
ter annehmen. Es ſind verwitterte und zerbröckelte
Sandſteinwände, von rieſenhaften Dimenſionen, alle
ſchroff und perpendikulair abfallend, aus Eichenwäl-
dern hervorſtehend, und mit hundertfachen Feſtons
von Epheu überhangen. Die Regen und Stürme
vieler Jahrtauſende haben die weiche Maſſe in ſo
phantaſtiſche Formen verwaſchen und gemodelt, daß
man künſtliches Menſchenwerk zu ſehen glaubt.
Schloſſer und Thürme, Amphitheater und Mauern,
Zinnen und Obelisken, äffen den Wanderer, der ſich
in die Ruinen einer Dämonenſtadt verſetzt wähnt.
Oft löſen ſich einzelne dieſer Gebilde bei Unwettern
ab, und ſtürzen verheerend, von Felſen zu Felſen ab-
prallend, mit Donnergetöſe in die hier unergründliche
Tiefe des Stroms. Man zeigte mir die Ueberbleibſel
eines dieſer Blöcke, und das Monument des armen
Portugieſen, den er in ſeinem Falle begrub. Dieſe
ſeltſame Felſenformation erſtreckt ſich, faſt acht Mei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="248"/>
halb den des grauen Alterthums trägt &#x2014; dies i&#x017F;t<lb/>
die Wiege Heinrich des <hi rendition="#aq">V.,</hi> denn hier verbrachte er<lb/>
&#x017F;eine Kindheit unter Auf&#x017F;icht der Gräfin von Salis-<lb/>
bury. Tiefer unten im Thal &#x017F;teht noch die&#x017F;elbe un-<lb/>
an&#x017F;ehnliche kleine Kirche, in der er getauft, und &#x017F;eine<lb/>
Pflegerin begraben ward. Agincourt und Fal&#x017F;taff,<lb/>
Mittelalter und Shake&#x017F;peare wurden lebendig vor<lb/>
meiner Phanta&#x017F;ie, bis die <hi rendition="#g">noch ältere und grö-<lb/>
ßere Natur &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, mich bald alles Uebrige ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en ließ. Denn nun gleitete un&#x017F;er Kahn in die<lb/>
Fel&#x017F;enregion hinein, wo der &#x017F;chäumende Fluß, und<lb/>
&#x017F;eine kühnen Umgebungen den impo&#x017F;ante&#x017F;ten Charak-<lb/>
ter annehmen. Es &#x017F;ind verwitterte und zerbröckelte<lb/>
Sand&#x017F;teinwände, von <choice><sic>rie&#x017F;enha&#x017F;ten</sic><corr>rie&#x017F;enhaften</corr></choice> Dimen&#x017F;ionen, alle<lb/>
&#x017F;chroff und perpendikulair abfallend, aus Eichenwäl-<lb/>
dern hervor&#x017F;tehend, und mit hundertfachen Fe&#x017F;tons<lb/>
von Epheu überhangen. Die Regen und Stürme<lb/>
vieler Jahrtau&#x017F;ende haben die weiche Ma&#x017F;&#x017F;e in &#x017F;o<lb/>
phanta&#x017F;ti&#x017F;che Formen verwa&#x017F;chen und gemodelt, daß<lb/>
man kün&#x017F;tliches Men&#x017F;chenwerk zu &#x017F;ehen glaubt.<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;er und Thürme, Amphitheater und Mauern,<lb/>
Zinnen und Obelisken, äffen den Wanderer, der &#x017F;ich<lb/>
in die Ruinen einer Dämonen&#x017F;tadt ver&#x017F;etzt wähnt.<lb/>
Oft lö&#x017F;en &#x017F;ich einzelne die&#x017F;er Gebilde bei Unwettern<lb/>
ab, und &#x017F;türzen verheerend, von Fel&#x017F;en zu Fel&#x017F;en ab-<lb/>
prallend, mit Donnergetö&#x017F;e in die hier unergründliche<lb/>
Tiefe des Stroms. Man zeigte mir die Ueberbleib&#x017F;el<lb/>
eines die&#x017F;er Blöcke, und das Monument des armen<lb/>
Portugie&#x017F;en, den er in &#x017F;einem Falle begrub. Die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ame Fel&#x017F;enformation er&#x017F;treckt &#x017F;ich, fa&#x017F;t acht Mei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0270] halb den des grauen Alterthums trägt — dies iſt die Wiege Heinrich des V., denn hier verbrachte er ſeine Kindheit unter Aufſicht der Gräfin von Salis- bury. Tiefer unten im Thal ſteht noch dieſelbe un- anſehnliche kleine Kirche, in der er getauft, und ſeine Pflegerin begraben ward. Agincourt und Falſtaff, Mittelalter und Shakeſpeare wurden lebendig vor meiner Phantaſie, bis die noch ältere und grö- ßere Natur ſelbſt, mich bald alles Uebrige ver- geſſen ließ. Denn nun gleitete unſer Kahn in die Felſenregion hinein, wo der ſchäumende Fluß, und ſeine kühnen Umgebungen den impoſanteſten Charak- ter annehmen. Es ſind verwitterte und zerbröckelte Sandſteinwände, von rieſenhaften Dimenſionen, alle ſchroff und perpendikulair abfallend, aus Eichenwäl- dern hervorſtehend, und mit hundertfachen Feſtons von Epheu überhangen. Die Regen und Stürme vieler Jahrtauſende haben die weiche Maſſe in ſo phantaſtiſche Formen verwaſchen und gemodelt, daß man künſtliches Menſchenwerk zu ſehen glaubt. Schloſſer und Thürme, Amphitheater und Mauern, Zinnen und Obelisken, äffen den Wanderer, der ſich in die Ruinen einer Dämonenſtadt verſetzt wähnt. Oft löſen ſich einzelne dieſer Gebilde bei Unwettern ab, und ſtürzen verheerend, von Felſen zu Felſen ab- prallend, mit Donnergetöſe in die hier unergründliche Tiefe des Stroms. Man zeigte mir die Ueberbleibſel eines dieſer Blöcke, und das Monument des armen Portugieſen, den er in ſeinem Falle begrub. Dieſe ſeltſame Felſenformation erſtreckt ſich, faſt acht Mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/270
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/270>, abgerufen am 22.11.2024.