gegränzt angeben. Der ostensible ist immer nur ein Theil davon, oft blos das Mittel zum Zweck, und der wahre selbst ändert und motivirt sich gar vielfach im Verfolg desselben. So ging es auch mir. Man hat aber auch Nebenzwecke, und oft werden diese, weil sie besser munden, die Hauptsache. So ging es abermals mir. Au bout du compte bin ich zufrie- den, und was kann man mehr erreichen!
Neptun muß mich besonders liebhaben, denn er hält mich jedesmal, wenn er mich in seine Gewalt bekömmt, so lange darin zurück als er kann. Der Wind war uns wieder grade entgegen, und blies mit der erbittertsten Heftigkeit. Auf dem Wasser und auf den hohen Bergen wirkt meine Glücksfähigkeit sehr schwach, denn fast noch nie hatte ich günstigen Wind auf dem Meer, und gar selten einen klaren Himmel, wenn ich ihm so viel tausend Fuß näher kam.
Gestern Abends um eilf Uhr verließ ich Dublin in einer Postchaise, bei einer schönen, hellen Mondnacht; die Luft war lau und milde wie im Sommer. Ich rekapitulirte ein wenig die vergangenen zwei Jahre, und ließ alles von Neuem die Revüe passiren. Das Resultat mißfiel mir nicht. Ich habe zwar hie und da geirrt, aber finde mich im Ganzen fester und klarer geworden. Im Einzelnen habe ich auch Einiges ge- wonnen und gelernt, meine physische Maschine dabei nicht verschlechtert, und endlich im Lebensatlas eine Menge interessanter Erinnerungsbilder niedergelegt. Frischen Muth und Lebenslust aber fühle ich zehnfach
gegränzt angeben. Der oſtenſible iſt immer nur ein Theil davon, oft blos das Mittel zum Zweck, und der wahre ſelbſt ändert und motivirt ſich gar vielfach im Verfolg deſſelben. So ging es auch mir. Man hat aber auch Nebenzwecke, und oft werden dieſe, weil ſie beſſer munden, die Hauptſache. So ging es abermals mir. Au bout du compte bin ich zufrie- den, und was kann man mehr erreichen!
Neptun muß mich beſonders liebhaben, denn er hält mich jedesmal, wenn er mich in ſeine Gewalt bekömmt, ſo lange darin zurück als er kann. Der Wind war uns wieder grade entgegen, und blies mit der erbittertſten Heftigkeit. Auf dem Waſſer und auf den hohen Bergen wirkt meine Glücksfähigkeit ſehr ſchwach, denn faſt noch nie hatte ich günſtigen Wind auf dem Meer, und gar ſelten einen klaren Himmel, wenn ich ihm ſo viel tauſend Fuß näher kam.
Geſtern Abends um eilf Uhr verließ ich Dublin in einer Poſtchaiſe, bei einer ſchönen, hellen Mondnacht; die Luft war lau und milde wie im Sommer. Ich rekapitulirte ein wenig die vergangenen zwei Jahre, und ließ alles von Neuem die Revüe paſſiren. Das Reſultat mißfiel mir nicht. Ich habe zwar hie und da geirrt, aber finde mich im Ganzen feſter und klarer geworden. Im Einzelnen habe ich auch Einiges ge- wonnen und gelernt, meine phyſiſche Maſchine dabei nicht verſchlechtert, und endlich im Lebensatlas eine Menge intereſſanter Erinnerungsbilder niedergelegt. Friſchen Muth und Lebensluſt aber fühle ich zehnfach
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gegränzt angeben. Der oſtenſible iſt immer nur ein
Theil davon, oft blos das Mittel zum Zweck, und
der wahre ſelbſt ändert und motivirt ſich gar vielfach
im Verfolg deſſelben. So ging es auch mir. Man
hat aber auch Nebenzwecke, und oft werden dieſe,
weil ſie beſſer munden, die Hauptſache. So ging es
abermals mir. Au bout du compte bin ich zufrie-
den, und was kann man mehr erreichen!
Neptun muß mich beſonders liebhaben, denn er
hält mich jedesmal, wenn er mich in ſeine Gewalt
bekömmt, ſo lange darin zurück als er kann. Der
Wind war uns wieder grade entgegen, und blies mit
der erbittertſten Heftigkeit. Auf dem Waſſer und auf
den hohen Bergen wirkt meine Glücksfähigkeit ſehr
ſchwach, denn faſt noch nie hatte ich günſtigen Wind
auf dem Meer, und gar ſelten einen klaren Himmel,
wenn ich ihm ſo viel tauſend Fuß näher kam.
Geſtern Abends um eilf Uhr verließ ich Dublin in
einer Poſtchaiſe, bei einer ſchönen, hellen Mondnacht;
die Luft war lau und milde wie im Sommer. Ich
rekapitulirte ein wenig die vergangenen zwei Jahre,
und ließ alles von Neuem die Revüe paſſiren. Das
Reſultat mißfiel mir nicht. Ich habe zwar hie und da
geirrt, aber finde mich im Ganzen feſter und klarer
geworden. Im Einzelnen habe ich auch Einiges ge-
wonnen und gelernt, meine phyſiſche Maſchine dabei
nicht verſchlechtert, und endlich im Lebensatlas eine
Menge intereſſanter Erinnerungsbilder niedergelegt.
Friſchen Muth und Lebensluſt aber fühle ich zehnfach
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/258>, abgerufen am 25.11.2024.
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