für die weise Natur, das Individuum nichts, die Spezies Alles ist. Wir leben für und durch die Menschheit und in ihrem großen Ganzen compen- sirt sich auch Alles. Dies kann jeden Vernünftigen vollkommen beruhigen, denn jede Saat geht auf, wenn gleich nicht immer für dieselbe Hand, die sie in die Erde legte, doch schlimme wie gute, der Menschheit geht keine verloren. Und was ist der Zweck von Allem? Leben -- ewig alt und ewig neu, an dem auch wir immer fort Theil haben. Darum behaupte ich: was ist, kann nur vollkommen und nothwendig seyn, sonst wäre es nicht. Was geschieht, muß geschehen, nicht weil es Willkühr so vorher bestimmt, wie die Fatalisten annehmen, son- dern weil die Kette der Folgen nothwendig aus der Kette der Ursachen entspringen muß. Relativ, und in den einzelnen Verhältnissen des Weltall-Lebens entschwindet jedoch diese eiserne Nothwendigkeit dem Auge, und giebt tausend ungewissen Beziehungen Raum, ohne die das ganze Lebensspiel ja gleich zu- sammenfiele. Es hat dies die größte Aehnlichkeit mit den Werken der Kunst, oder ist vielmehr ihr Vor- bild. Lear auf dem Theater, jeder Held, den der wahre Dichter uns vorführt, ergreift uns tief, und vielleicht mehr, als er es in der Wirklichkeit thun würde, und doch wissen wir, alles was wir sehen und hören, sey Täuschung. Der Ausdruck: das Thea- ter der Welt, hat einen tiefern Sinn, als man sich gewöhnlich dabei denkt, und Alles was lebt, spielt in Wahrheit: eine göttliche Komödie!
für die weiſe Natur, das Individuum nichts, die Spezies Alles iſt. Wir leben für und durch die Menſchheit und in ihrem großen Ganzen compen- ſirt ſich auch Alles. Dies kann jeden Vernünftigen vollkommen beruhigen, denn jede Saat geht auf, wenn gleich nicht immer für dieſelbe Hand, die ſie in die Erde legte, doch ſchlimme wie gute, der Menſchheit geht keine verloren. Und was iſt der Zweck von Allem? Leben — ewig alt und ewig neu, an dem auch wir immer fort Theil haben. Darum behaupte ich: was iſt, kann nur vollkommen und nothwendig ſeyn, ſonſt wäre es nicht. Was geſchieht, muß geſchehen, nicht weil es Willkühr ſo vorher beſtimmt, wie die Fataliſten annehmen, ſon- dern weil die Kette der Folgen nothwendig aus der Kette der Urſachen entſpringen muß. Relativ, und in den einzelnen Verhältniſſen des Weltall-Lebens entſchwindet jedoch dieſe eiſerne Nothwendigkeit dem Auge, und giebt tauſend ungewiſſen Beziehungen Raum, ohne die das ganze Lebensſpiel ja gleich zu- ſammenfiele. Es hat dies die größte Aehnlichkeit mit den Werken der Kunſt, oder iſt vielmehr ihr Vor- bild. Lear auf dem Theater, jeder Held, den der wahre Dichter uns vorführt, ergreift uns tief, und vielleicht mehr, als er es in der Wirklichkeit thun würde, und doch wiſſen wir, alles was wir ſehen und hören, ſey Täuſchung. Der Ausdruck: das Thea- ter der Welt, hat einen tiefern Sinn, als man ſich gewöhnlich dabei denkt, und Alles was lebt, ſpielt in Wahrheit: eine göttliche Komödie!
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für die weiſe Natur, das Individuum nichts, die
Spezies Alles iſt. Wir leben für und durch die
Menſchheit und in ihrem großen Ganzen compen-
ſirt ſich auch Alles. Dies kann jeden Vernünftigen
vollkommen beruhigen, denn jede Saat geht auf,
wenn gleich nicht immer für dieſelbe Hand, die ſie
in die Erde legte, doch ſchlimme wie gute, der
Menſchheit geht keine verloren. Und was iſt der
Zweck von Allem? Leben — ewig alt und ewig
neu, an dem auch wir immer fort Theil haben.
Darum behaupte ich: was iſt, kann nur vollkommen
und nothwendig ſeyn, ſonſt wäre es nicht. Was
geſchieht, muß geſchehen, nicht weil es Willkühr ſo
vorher beſtimmt, wie die Fataliſten annehmen, ſon-
dern weil die Kette der Folgen nothwendig aus der
Kette der Urſachen entſpringen muß. Relativ, und
in den einzelnen Verhältniſſen des Weltall-Lebens
entſchwindet jedoch dieſe eiſerne Nothwendigkeit dem
Auge, und giebt tauſend ungewiſſen Beziehungen
Raum, ohne die das ganze Lebensſpiel ja gleich zu-
ſammenfiele. Es hat dies die größte Aehnlichkeit mit
den Werken der Kunſt, oder iſt vielmehr ihr Vor-
bild. Lear auf dem Theater, jeder Held, den der
wahre Dichter uns vorführt, ergreift uns tief, und
vielleicht mehr, als er es in der Wirklichkeit thun
würde, und doch wiſſen wir, alles was wir ſehen
und hören, ſey Täuſchung. Der Ausdruck: das Thea-
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gewöhnlich dabei denkt, und Alles was lebt, ſpielt
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/243>, abgerufen am 25.11.2024.
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